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Wie ich in drei Jahren mein ganzes Leben änderte.

Aktualisiert: 16. Okt. 2022

Ungeschönt, ehrlich und intim

Vom Burnout in ein freies und unabhängiges Leben.


2018 - Die Vorgeschichte

Ich arbeitete Vollzeit in einer Werbeagentur in Hamburg. Stress und Überstunden lagen an der Tagesordnung. Aber wir waren ja „wie eine Familie“ und irgendwie hat man es mitgemacht und die Zeichen des Körpers und der Seele ignoriert. Ich begann im Sommer die Wochenenden in der Natur zu verbringen. Simpel mit Zelt, Lichterkette und Gaskocher. Hier kam ich runter. Hier war ich im Moment. Hier konnte ich Kraft tanken. Viel zu wenig für die Belastungen und Anforderungen im Alltag, der nur aus Arbeit bestand. Aber immerhin habe ich dort etwas anderes gespürt als Stress und Druck.


Auf einem dieser Wochenend-Camping-Trips kam meiner Freundin und mir dann eine Idee. Wir wollten ein Abenteuer. Etwas erleben, das uns keiner zutraute. Unsere Grenzen testen. Und so meldeten wir uns im August 2018 für die Baltic Sea Circle Rallye 2019 an. Eine Autorallye um die Ostsee mit Stops auf den Lofoten, am Nordkap und in St. Petersburg. Alles mit einem Auto, das nicht mehr als 2.500€ kostete und mindestens 20 Jahre alt war. Das Fieber hatte uns kurzerhand gepackt und die Planung ging los. Logo, Instagram-Account, Webseite, Sponsoren. Auto! Nachdem unser im Winter 2018 gekaufter Jeep Cherokee kurz vor der Rallye den Geist aufgab, haben wir uns 6 Wochen vor der Rallye einen VW T4 Bus gekauft. Olivgrün, Holzverkleidung, sonst leer, verliebt, mitgenommen. In wenigen Wochen zum Rallyeauto umgebaut. Armadillo getauft. Warum Armadillo? Nichts weniger als das Vehicle, das die gesamte Menschheit in meinem Lieblingsfilm "Armageddon" gerettet hat: https://www.pinterest.de/pin/646970302694765096/ .

(Instagram Account Nordfriesenmädchen)


2019 - Was in der Zwischenzeit geschah

Parallel zu den ganzen Vorbereitungen, die mir viel Spaß bereitet haben, hat meine mentale Gesundheit unter dem enormen Druck meiner Arbeit in der Agentur sehr gelitten. Schon im Dezember 2018 hatte ich erste Anzeichen. Ich war oft traurig, müde, antriebslos, voller Selbstzweifel. Freunde haben mich drauf hingewiesen mal etwas weniger zu arbeiten. Aber das war mir nicht möglich. Im Februar hat mich dann mein Immunsystem verlassen und ich lag nach einem einfachen ambulanten dermatologischem Eingriff mit einem entzündlichen Lymphödem im Gesicht für mehrere Tage im Krankenhaus. Durch einen Zugang für Antibiotika habe in dann eine Venenentzündung bekommen und stand kurz vor einer Blutvergiftung. Zwischenzeitlich habe ich noch ein paar Tage auf einem Event gearbeitet, Überstunden geschoben, da ich ja schon so lange im Krankenhaus lag und die Agentur nicht noch länger „im Stich lassen wollte“. Gips am linken Arm. Dann wieder: Bettruhe. Arm nicht bewegen. Nicht arbeiten. Beruhigungstabletten. Ich fühlte mich wie ein Zombie. Gefangen zwischen dem Wunsch wieder etwas zu spüren und dem Druck wieder etwas leisten zu müssen. Ich wurde von den Ärzten auch zu meiner mentalen Verfassung befragt, da ich nachts oft mit Panikattacken wach wurde, sogar Angst hatte durch den Zugang zu sterben. Ich habe alles abgestritten. Schließlich war ich erst 27 und muss das ja abkönnen.



2019 - Die Rallyevorbereitungen liefen weiter und waren so ziemlich das einzige, was mich „am Leben hielt“. Start war Mitte Juni 2019. Mitte Mai ging es mir nach weiteren Wochen vieler Überstunden und Nachtschichten sowohl mental, als auch physisch nicht mehr gut. Eigentlich schon die gesamten letzten 6 Monate, aber wer gesteht sich das schon ein. Eines Morgens, nach einer weiteren fast schlaflosen Nacht mit massiven Ängsten und unaushaltbarem Druckgefühl auf dem Herzen saß ich apathisch um 8.50 auf meiner Couch und konnte nicht mehr aufstehen. Um 9 musste ich auf der Arbeit sein. Aber ich konnte mich einfach nicht mehr bewegen. Ein Freund, der in der Zeit bei mir war, hat mich inständig dazu aufgefordert nicht zur Arbeit zu gehen, sondern zu meinem Hausarzt. Er hat sich schon länger ernsthafte Sorgen gemacht. Mein Arzt hat mich mit einer akuten Blasenentzündung für 2 Wochen krank geschrieben und mich sanft drauf hingewiesen, dass er psychosomatische Zusammenhänge vermutet und mir nahe legt einen Psychologen aufzusuchen.

Zwei Tage nachdem ich die Krankmeldung bei meiner Arbeit eingereicht habe, wurde ich am Telefon gekündigt. Begründung: betriebliches Risiko, da zu oft krank. Die Ironie des Ganzen muss ich wahrscheinlich nicht erklären. Nach dem Telefonat bin ich zusammengebrochen. Ich konnte kaum atmen. Habe so geweint, dass ich ohnmächtig wurde. Ich hatte mein Leben dieser Agentur regelrecht geopfert. Waren wir nun doch keine Familie? Natürlich nicht. Jeder ist ersetzbar. Und egal, wie sehr du dich einer Agentur oder einem Unternehmen opferst, am Ende bist du so unwichtig, dass du am Telefon gekündigt wirst. Natürlich absolut nicht rechtens. Und das betriebliche Risiko bildete alleine die Agenturspitze. So ist es auch kein Wunder, dass alle 6 Monate die gesamte Belegschaft erneuert wurde. Aber ich hatte keine Kraft mehr um rechtlich dagegen vorzugehen.


Kurz darauf die Diagnose beim Psychologen: Burnout und mittlere bis schwere depressive Episode. Mit 27. Glückwunsch Esther. Ich wollte es mir nicht eingestehen und habe geglaubt, dass ich da schon irgendwie durchkomme. Und außerdem stand jetzt ja auch erstmal die Rallye an.

Baltic Sea Circle Rallye 2019

Verdammt. Es war einfach nur geil! Und hat mein Leben von Grund auf verändert. Wir haben 16 Tage lang Abenteuer erlebt, sind über unsere Grenzen gegangen. Wir haben besondere Menschen kennengelernt, viel über uns gelernt. Wir haben eine Natur gesehen, die man nicht mehr beschreiben kann, weil es einfach zu schön war. 11 Länder in 16 Tagen, 8000km und Erlebnisse, die sich fest ins Herz gebrannt haben. Ich fühlte mich so frei und lebendig wie noch nie in meinem Leben. Und dieses Gefühl war ein Schlüsselmoment für meine weitere Geschichte (wer mehr darüber lesen möchte, kann sich gerne diesen Artikel durchlesen.



Nach der Baltic Sea Circle Rallye war ich voller Lebensenergie und Euphorie für alles was kommt. Und gleichzeitig tief traurig über das was war. Die vielen Schicksalsschläge, Trennungen und Enttäuschungen den letzten Monate und Jahre, der immense Leistungsdruck, das Gefühl versagt zu haben und nicht genug zu sein, Scham und Zukunftsängste. Negative Gefühle mischten sich mit der Freude des Erlebten. Es war verwirrend und ich wusste immer weniger wer ich eigentlich bin. Ich versuchte mich zu finden, ging alleine auf Reisen und habe mehrere Wochen in Spanien gelebt. Mein Wunsch war es mich selbst wieder zu finden, doch entgegen meiner Hoffnung fand ich mich mit meinen größten Dämonen konfrontiert. Man kann noch so weit reisen und versuchen vor der Realität zu fliehen. Doch vor sich selbst kann man eben nicht fliehen. Man nimmt sich selbst immer mit. Das habe ich schmerzlich am eigenen Leib, oder an der eigenen Seele erfahren. Worauf ich hinweisen möchte ist, dass ein Bild oder ein Lächeln nichts über die mentale Verfassung einer Person verrät. Wenn man depressiv ist kann man äußerlich lachen und innerlich weinen. Das habe ich lange nicht verstanden.



Weitere schmerzliche Verluste und einschneidende Erlebnisse folgten, als die Dinge nicht so weiter liefen, wie ich sie mir gewünscht hatte. Die Freundschaft zu meiner Rallyepartnerin erlag dem ganzen privaten und rallyebedingtem Stress und es gab von ihrer Seite entgegen unserer Planung keine Zukunft mehr für Armadillo und weitere Rallyes, was mich sehr traurig machte. Sie wollte Armadillo sogar verkaufen. Es zog mir den Boden unter den Füßen weg. Genau das, was mir irgendwie noch Hoffnung schenkte sollte nun vorbei sein. Ein gemeinsames Werk, ein Traum, das Lebensgefühl "Nordfriesenmädchen" wurde begraben. Und mein Traum war geplatzt. Obwohl ich finanziell gesehen auch gerade nicht auf der Hochphase meines Lebens war, kaufte ich ihr das Auto ab. Ohne genau zu wissen warum. Aber mein Gefühl sagte mir, dass diese Reise noch nicht vorbei ist. Dass ich das schon irgendwie schaffen werde.


Arbeitslos, krankgeschrieben und ohne Perspektive stand ich nun da. Herbst in Hamburg. Wollte mir meine Depression nicht eingestehen und habe mich selbst für jeden Tag gehasst, der einfach so nutzlos an mir vorbei strich. Ich kann das alles nicht schön reden. Die Spirale ging abwärts. Die Gedanken wurden dunkler. Der Selbsthass größer. Und größer. Und unaushaltbar. Ich war wie gelähmt und voller Angst, konnte meine Emotionen nicht regulieren verzweifelte. Ich brauchte mehr Hilfe als eine Stunde Therapie in der Woche und habe sie gesucht und bekommen.


2020 - Ein Schritt, den ich mir vor Scham niemals zugetraut hätte

Auch heute fällt es mir schwer darüber zu reden. Wahrscheinlich aus Angst wie andere darüber urteilen könnten. Es war aber auch der Schritt, der mich letztendlich wieder auf die Beine gebracht hat: Eine mehrmonatige therapeutische Auszeit in der Nähe von Hamburg. Hier habe ich auf tiefenpsychologischer und psychosomatischer Ebene viel über mich und meine Vergangenheit gelernt. Warum ich bin wie ich bin. Was passiert ist, dass ich mich so fühle, wie ich mich fühle. Ich spürte langsam eine innere Veränderung und sah Zusammenhänge. Ich spürte sie sehr stark und verstand sie sehr langsam. Denn so eine Therapie benötigt Zeit. Ich brauchte Geduld. Etwas, das ich so gar nicht besitze. Besonders geholfen, hat mir hier die Kunsttherapie. Hier sind seelische Schmerzen aufgetaucht, die ich niemals hätte in Worte fassen können. Es fällt mir wohl irgendwie leichter meine Gefühle in Bildern auszudrücken. Das Bild oben rechts war übrigens die Darstellung meines Traumlebens. Eine Straße, die zwischen Bergen und Meer entlang führt. Ich wünschte mir bald wieder einen Roadtrip zu starten, weil ich wusste, dass ich dabei glücklich sein kann.


Nach drei Monaten aufwühlen, durchdringen, reden, weinen und lachen… war ich bereit für eine neue Welt. Leider hat sich die Welt währenddessen Corona überlegt und ich bin direkt in den Lockdown gestolpert. Was Fluch und Segen zu gleich war. Die Welt war entschleunigt. Und ich durfte lernen Dinge langsamer anzugehen. Obwohl die nächsten Steps größer waren und schneller kamen, als ich das im ersten Moment realisiert habe. Und manchmal realisiere ich es immer noch nicht.


Sommer 2020

Für mich war eines ganz klar: Ich gehe nicht zurück in die Agenturwelt. Keine Lust und keine Kraft mehr für cholerische und narzisstische Chefs, patriarchalische Strukturen und sexistische Übergriffe. All das ist mir mehr als einmal passiert. Keine Zeit mehr meine Lebenszeit in einem Büro zu verschwenden um undankbare Überstunden zu schieben. Ich wollte mehr: Mehr erleben, mehr frei sein, mehr vom Leben als das, was uns die Gesellschaft erlaubt.


Und ich wollte dieses Gefühl wieder haben, das ich auf der Rallye hatte. Dieses Gefühl der unendlichen Freiheit und Unabhängigkeit. Das Gefühl von Neugierde und Vorfreude, da jeder Tag voller neuer Herausforderungen und Abenteuer steckt.

Zwischen Selbstfindung und Träumen erlebte ich einen Sommer voller neuer Erfahrungen und Abenteuern. Jedes Wochenende fuhr ich Campen, baute Armadillo weiter aus und landete sogar in einer TV Show .

Zeitungen interviewten mich zu meinem freien Lebensstil und bei Instagram zeigte ich mein neu gewonnenes "Ich". Surreal aber schön. Mir fehlte die Fähigkeit das alles wirklich zu realisieren. Doch die Dinge bewegten sich weiter und meiner Kreativität und Ideen entfachten sich von Neuem.



Der Weg in die Selbstständigkeit

Ganz ehrlich, ich weiß nicht woher ich diesen Mut genommen habe. Vielleicht war es das klare Bild davon, was ich nicht mehr wollte. Und die Vision mein Leben so zu gestalten, wie ich glaubte, dass es mich wieder glücklich machen könnte. Schon lange bewunderte ich „Digitale Nomaden“. Reisen und arbeiten. Ortsunabhängig. Frei. Unter Palmen. Am Meer. Und ich fragte mich, was mich davon abhält. Angst davor, dass es nicht funktioniert? Aber was ist, wenn es funktioniert?


Ich meldete mich von der Krankschreibung in die Arbeitslosigkeit, um einen AVGS Gutschein zu beantragen. Mit diesem konnte ich einen Gründungscoach bezahlen, um einen Businessplan zu schreiben mit dem ich wiederum den Gründungszuschlag beantragte, um für die ersten 6 Monate meiner Selbstständigkeit finanziell abgesichert zu sein. Nach zwei Monaten und 80 Seiten Konzept, Analyse und Finanzplanung reichte ich meinen Businessplan bei der Agentur für Arbeit ein und meldete meine Selbstständigkeit beim Finanzamt an. Am 15.09.2020 wurde ich offiziell selbstständige Grafikdesignerin und zwei Wochen später habe ich mich in meinen Bus Armadillo gesetzt und bin nach Italien gereist. Wenn schon denn schon. Wer fängt schon gemächlich an wenn Die Welt auf einen wartet?


Herbst 2020 - Vanlife Italien als digitale Nomadin

Und so machte ich meine erste Erfahrung als digitale Nomadin im Vanlife. Ich reiste von Norditalien bis nach Sizilien. Wenn ich heute zurück blicke, kann ich mich noch an jeden einzelnen Tag erinnern. Kathi, meine beste Freundin kam dazu und wir verbrachten die Zeit unseres Lebens. Ich kann sogar rekonstruieren, was wir jeden Tag gegessen haben, was uns zum Lachen gebracht hat, weshalb wir geweint haben oder was wir gesehen und gefühlt haben. Weil jeder Tag so intensiv war. Genau das erfüllt meine Seele. Die besonderen Momente, die uns das Leben schenkt, wenn wir sie zulassen, wenn wir sie mitbestimmen und gestalten.


Drei Monate Italien machten einen neuen Menschen aus mir (Blogbeitrag folgt). Ich war stolz auf mich. Und glücklich. Und gleichzeitig fiel es mir immer wieder schwer zu glauben, dass ich das bin, die ihre schönen Sonnenuntergangsbilder mit Armadillo am Strand postet. Was auch immer das zu bedeuten hat.



2021 - auf zu neuen Abenteuern

Einen langen Coronawinter später konnte ich die ersten Erfolge meiner Selbstständigkeit feiern. Die Mund-zu-Mund-Propaganda lief und bis auf ein paar wenige negative Ausnahmen hatte ich tolle Erfahrungen und liebevolle Kundinnen, die sich sogar zu langjährigen Kundinnen entwickelten. Dennoch; das war ja nicht der Plan. Corona hatte die Welt weiterhin fest im Griff und ich war im tiefsten Winter in meiner Wohnung in Hamburg „gefangen“. Ich wollte doch Abenteuer erleben und am Strand aufwachen. Doch der Blick aus dem Fenster war ein anderer. Regentropfen und Häuserwände.


Also machten Kathi und ich uns im April erneut auf den Weg in den Süden. Diesmaliges Ziel: Spanien und Portugal. Oder Sonne, Meer und Abenteuer. Ja, wir wissen, dass das nicht so richtig „erlaubt“ war. „Stay home“ war ja die Devise. Mein zu Hause war aber nun der Bus. Und berufliche Reisen waren erlaubt. Und außerdem wollte ich nicht schon wieder in eine depressive Episode geraten und die Anzeichen waren bereits da.


Sideview: Auch wenn man tiefenpsychologisch über mehrere Jahre begleitet wird kann eine Depression immer wieder auftauchen. Mir wurde das mal so erklärt: „Du warst in diesem schwarzen Raum und hast den Ausgang nicht gefunden. Es war dunkel, bedrückend, traurig. Doch irgendwann durchdrang ein Lichtstrahl diesen Schlitz. Langsam wurde es wieder heller und du konntest klarer sehen. Doch da du diesen Raum einmal betreten hattest, wird er dich für immer begleiten. Du kannst lernen diese Tür ein Stück aufzuhalten, oder sie früher zu finden. Du kannst diesen Raum auch mal eine ganze Zeit lang verlassen, aber er wird immer bei dir sein.“


Trotz des Gegenwindes über Grauzonen hinweg auf Reisen zu gehen, machten wir Armadillo startklar und düsten in 2 Tagen in den Norden Spaniens. Ich möchte das nicht klein reden. Ich bin ein sehr sensibler Mensch und hatte natürlich große Sorgen. Ich hatte eine immense Angst vor dem Coronavirus und mich auf Reisen anzustecken. Doch ich wollte dieser Angst ein weiteres Mal nicht Herr werden lassen. Realistisch gesehen waren wir auf dieser Reise auch weniger unter Menschen, als es in einer Millionenmetropole wie Hamburg der Fall gewesen wäre. Und wem nützt es am Ende, wenn unsere Seelen vor Isolation drauf gehen? Meine Seele hatte bereits gelitten. Aber in diesem Moment, an dem ich wieder am Meer stand, die Natur spürte, in ihr einschlief und aufwachte, war der Moment, in dem ich langsam wieder zu mir fand. Ich brauche das einfach. Das ist mein Leben.


Wir reisten die Mittelmeerküste entlang, erlebten die schönsten Momente, und auch andere, aus denen wir lernten oder die uns herausforderten. So war Granada beispielsweise mit einem Krankenhausbesuch verbunden, da ich den Verdacht auf einen Bluterguss im Gehirn hatte. Es ist nicht immer alles Zuckerschlecken und wir fuhren in den ersten Wochen von einer Regenwolke in die nächste. Manchmal steht man vor Herausforderungen, die einem den Atem stocken lassen. Dann muss man sich selbst oder gegenseitig beruhigen. Auch eine wichtige Lektion, die ich immer noch lerne, da ich von Natur aus ein sehr ängstlicher Mensch bin.


Rückblickend war dennoch jeder Tag so wertvoll. Und ich bin auch für jeden Tag so dankbar. Wir hatten großartige Zeiten in Tarifa, haben Freunde fürs Leben gefunden und Erfahrungen gemacht, über die wir wahrscheinlich noch im Altersheim lachen werden. Manchmal waren wir unvernünftig, verrückt, abenteuerlustig. Wahrscheinlich viel mehr, als je zuvor in unserem Leben. Einfach mal die Regeln Regeln sein lassen und seine eigenen machen. Hach, man lernt so viel über sich auf diesen Reisen.

Manchmal schmerzhaft. Manchmal mit einem Lächeln auf den Lippen. Immer intensiv. Mein Herz füllt sich mit so viel Liebe und Dankbarkeit, wenn ich an diese Zeit denke. Mir fehlen die Worte (Blogbeitrag folgt).


Portugal 2021 - meine neue Heimat, ohne, dass ich es wusste

Was für ein Unterschied, wenn man von Spanien nach Portugal reist. Die Kultur war einfach so anders und sofort spürbar. Irgendwie offener, freundlicher, wärmer, nahbarer. Wir erkundeten die roten Klippen der Algarve, haben leckeren Fisch und Pastel de Natas gegessen und im eiskalten Meer gebadet. Dann landeten wir in Lagos. Aus einer geplanten Nacht wurden vier oder fünf. Ich lernte Miguel nachts in den kleinen Gassen voller Bars kennen, und ohne dass ich es in diesem Moment wusste, veränderte sich mein Leben erneut um 180°. Da war was. Und wir wollten wissen was.



Also kam er mich nach dem Roadtrip durch Spanien und Portugal Ende Juni in Hamburg besuchen. Aus einer geplanten Woche wurden drei für Miguel in Hamburg. Im August bin ich dann nach Lissabon geflogen. Aus einem geplanten Monat wurden fast drei für mich in Portugal und plötzlich waren da ganz viele Fragen und Entscheidungen, die getroffen werden mussten. Gehe ich nach Portugal? Kommt Miguel nach Deutschland? Wie soll es weiter gehen?


Es war schon immer ein großer Traum von mir im Ausland zu leben. Und wer mich kennt weiß, dass Latina-Blut durch meine Adern fließt. Auch wenn ich nach vielen deutschen Werten wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit lebe vermisse ich oft eine Leichtigkeit in mir. Die Leichtigkeit, die ich fühle, wenn ich Bachata tanze oder ins Meer springe. Miguel und ich kannten uns kaum, und doch war uns klar, dass das hier nur eine Chance hat, wenn wir für große Schritte bereit waren. Und das war ich, anscheinend. Beruflich war ich außerdem ungebunden und konnte von überall aus arbeiten.


Miguel in Hamburg 2021


Ich in Portugal, Cascais 2021


Armadillo - Eine Ära geht zu Ende

Und Armadillo? Der hatte erstmal Sommerpause. Ich wusste, dass ich das Leben im Van nicht aufgeben möchte. Aber ich wusste auch, dass Armadillo nicht mehr der Van ist, mit dem ich meine Abenteuer so leben kann, wie ich sie mir vorstellte. Stehhöhe und mehr Platz, eine kleine Wohnung auf vier Rädern. Das schwebte mir vor. Also verkaufte ich Armadillo im Herbst 2021 und gab ihn in wundervolle Hände einer kleinen jungen Familie. Dieser Bus hat mein Leben verändert. Und irgendwie bricht es mir immer noch das Herz, wenn ich daran denke, wie ich ihn das letzte Mal zu seinen neuen Besitzern gefahren habe. Was aber bleibt sind die wundervollen Erinnerungen. Sowohl in den unterschiedlichsten Formen wie in Bildern, einem Vanlife-Quartett vom Saltwater Shop, You-Tube-Videos oder Zeitungsartikel. Aber ganz besonders im Herzen. Danke Armadillo. Du hast mir vielleicht mein Leben gerettet.


Und danke an Hardy Leben, dass du, auch wenn du es nicht glauben magst, durch deine selbstlose Hilfe und tiefe, wahre Freundschaft über die ganzen Jahre mein Leben maßgeblich verändert hast. Ohne dich wären viele Momente, Erlebnisse und Abenteuer nicht entstanden. Ich bin dir für immer dankbar!




2022 - ein neues Kapitel

Ein neues Kapitel stand mir bevor und ich entschied mich erstmal ohne Van eine Zeit in Portugal zu verbringen. So verbrachte ich die ersten Monate diesen Jahres zwischen Cascais und Lagos, machte Reisen nach Chamonix und Madeira und tauchte in die wunderbare Kultur dieses Landes ein. Besonders glücklich war ich, als ich meinen besten Freunden meine "neue Heimat" zeigen konnte. Julian und Kathi besuchten mich und ich hatte Zuversicht, dass wahre Freundschaft auch über die Distanz erhalten bleiben.


Wie bereits erwähnt war es schon immer ein Traum von mir mal eine Zeit lang in einem anderen Land zu leben. Deutschland mag ja ganz nett sein, wenn man auf Sicherheit, Pünktlichkeit und Ordnung steht, doch auf die ewigen Winter im Hamsterradleben stehe ich eben nicht. Auch Hamburg, die Stadt, in der ich 11 Jahre lebte, gab mir nicht mehr das, was sie mir einst gab.


Ich erinnere mich an einen sehr intensiven Moment, als Kathi und ich von unsererem Spanien-Portugal-Roadtrip zurück nach Hamburg kamen und über die Elbbrücken gefahren sind. Eigentlich ein schöner Moment vor dieser prachtvollen Hafenkulisse über die Elbe zu schweben. Ich liebte Hamburg. Den Mix aus schick und schroff. Die Konzerte, den Hafen, die Parties, Bars, Restaurants, Ausstellungen. Mit 19 bin ich voller Zuversicht und dem Wunsch nach einer großen Karriere nach Hamburg gezogen. Ich habe alle Vorzüge dieser Stadt geliebt und vor allem gelebt. Ich kann mit einer tiefen Sicherheit sagen, dass ich Hamburg über die Jahre wirklich kennen gelernt habe. Und bis vor einigen Jahren habe ich es auch sehr genossen und genutzt. Doch jetzt fehlte mir der einfache Zugang zur Natur. Ich sehnte mich nach Entschleunigung und einem Horizont. Ich wollte nicht mehr auf Häuser gucken - auch wenn ich 5 Jahre lang in der Mansteinstraße auf wirklich wunderschöne Jugendstil-Villen geblickt habe.


Für mich war klar: Ich möchte Hamburg verlassen. Könnte ich in Portugal leben? Vielleicht. Und was weiß ich gerade wirklich? Dass ich das Vanlife vermisse, und dieses Gefühl, von dem ich hier schon einige Male erzählt habe. Dann ging alles plötzlich ganz ganz schnell.


Im April bin ich zurück nach Hamburg geflogen. Ich habe mich gefreut meine Freunde, Familie und Nachbarn wieder zu sehen. Doch das Gefühl, dass das hier nicht mehr mein Zuhause ist, blieb. Ich fühlte mich fast fremd. Die Suche nach einem neuen Van startete. Und dank dem Corona-Vanlife-Hype (ich möchte hier anmerken, dass ich meinen ersten Bus lange vor Corona hatte) waren die Preise natürlich überdurchschnittlich hoch. Täglich schickte ich zwei Freunden, die den Van absegnen sollten, Ebay Kleinanzeigen Inserate. Ein Bus viel mir dabei immer wieder auf. Es war auch der einzige, der im nahen Umkreis von Hamburg stand. Ein Peugeot Boxer mit Pössl Ausbau. Ich hatte schon nach minimal ausgebauten Vans geschaut, da ich bis auf Deko nicht besonders viel handwerkliche Arbeit für einen Innenausbau liefern kann. Aber ein Pössl schien mir zuerst etwas „altbacken“. Wir machten einen Termin aus.


Mit Hardy von How2Roadtrip und seiner Freundin machten wir uns auf den Weg in den Süden Hamburgs. Die tief stehende Sonne spiegelte sich im silbernen Lack meines zukünftigen zu Hauses. Ich habe mir sofort vorgestellt, wie es wohl wäre in diesem Bus zu leben. Neben mir tanzten schwarze Tulpen im Wind (Die schwarze Tulpe trägt eine ganz besondere Bedeutung: Der seltene Frühblüher ist Paaren vorbehalten, die eine tiefe Leidenschaft verbindet). Sollte hier gleich eine tiefe Leidenschaft entfacht werden? Irgendwie schon. Nun gut, die schwarzen Kunstlederbezüge entsprachen nun nicht so meinem Geschmack und erinnerten mich eher an einen Puff (oder wie ich mir einen Puff von Innen vorstellte). Aber sonst war er von Innen, wie von Außen top in Schuss - für Baujahr 2001. Und hatte alles, was ich mir gewünscht habe. Tatsächlich müsste ich nicht mal etwas nachrüsten. Bett, Küche, Heizung, fließendes Wasser, WC, Dusche (sogar warme Dusche), viele Verstaumöglichkeiten, Rückfahrkamera. Und der Altbacken-Charme hat mich angeregt kreativ zu werden. Das Projekt „Pimp my Pössl“ war geboren und nach einer Nacht Bedenkzeit habe ich den Bus gekauft.



Der erste Step war getan. Ich hatte wieder ein zu Hause auf vier Rädern. Damit konnte ich meine vier Betonwände in der Innenstadt von Hamburg kündigen. Und tat es prompt. Fünf Jahre im schönsten aller Viertel, dem Generalsviertel und 11 Jahre Hansestadt sollten nun zu Ende gehen.


Ich muss sagen, dass ich mir über keine dieser Entscheidungen so wirklich den Kopf zerbrochen habe. Ich bin einfach nur meinem Gefühl gefolgt. Und wusste mal wieder ganz genau was ich nicht wollte.

Miguel kam nach Hamburg und half mir die Wohnung leer zu räumen. Die Devise: Alles, was nicht in den Bus passt, kommt weg. Also startete ich einen Großangriff auf Ebay Kleinanzeigen, machte einen Hausflohmarkt und verkaufte so ziemlich alles, was ich besaß und was sich in den letzten 11 Jahre Hamburg so angesammelt hat. Ich wurde oft gefragt, ob es mir schwer fiel. Nein. Absolut nicht. Jedes Teil, das aus der Wohnung getragen wurde hat mich erleichtert. Weniger materieller Ballast in meinem Umfeld.



Das Einzige, was wirklich schwer war, war der Abschied von meinen Freunden. Und es gibt Nichts, das diesen Schmerz irgendwie ausgleicht oder erträglicher macht. Wenn man sich entscheidet in ein anderes Land zu ziehen ist das der größte und schmerzhafteste Teil. Ich vermisse sie jeden Tag und werde sie auch nie weniger vermissen.



Wer jetzt dachte, dass das ja alles super glatt lief, muss ich enttäuschen. Ein großer Stein wurde mir während der Zeit des Umbruchs noch in den Weg gelegt. Auf dem Weg zum Recyclinghof bin ich mit zwei schweren Taschen auf den Schultern im Treppenhaus gestürzt. Diagnose: mindestens zwei Bänderrisse, Bruch im Sprungbein und ein Bone Bruise. Behandlung: Mindestens 6 Wochen schonen, Fuß hochlegen, Krücken und nur mit einem Moonboot (Air Cast - moderner Gips) laufen. Hahaha. Wir wollten in zwei Wochen mit dem Bus nach Portugal fahren. Die Wohnung war bis auf eine Matratze leer. Ich wollte doch in mein neues Leben starten. Die Welt erkunden. Auf beiden Beinen. Unabhängig und frei. Das wars dann. Ich war abhängig und gefangen. Und konnte es nicht glauben.


Da die Wohnung gekündigt war blieb mir gar nichts anderes übrig, als trotzdem zu fahren. Natürlich etwas anders als geplant. Aber es gab keine Alternative. Unter Tränen und wehenden weißen Tüchern in der Hand enger Freunde, die mich gebührend verabschiedet haben (ihr seid die Besten), verließen wir Hamburg in meinem neuen zu Hause auf vier Rädern, dass ich später auf den Namen "Albatross" taufte. Nach ein paar Tagen Frankreich erkundeten wir die Nordküste Spaniens und sind nach einigen Wochen, wieder unter Tränen, über die Grenze nach Portugal gefahren. Und wieder merkte ich, wie sehr sich die Mentalität veränderte und langsam realisierte ich, dass das jetzt so etwas wie meine neue Heimat ist.



Miguel ist die gesamte Strecke durch Frankreich, entlang der nordspanischen Küste, bis nach Lissabon alleine gefahren. Er hat mich gepflegt, gekocht, geputzt, mich ins Wasser getragen, war einkaufen und hat aufgeräumt… er hat einfach alles gemacht. Und ich bin zutiefst dankbar dafür. Diese Reise, und damit meine ich die "Reise" nach 11 Jahren Hamburg alles loszulassen, mich von meinen Freunden , meiner Familie, der Wohnung, allen Möbeln und vielen Gewohnheiten zu verabschieden und mit einem gebrochenen Fuß einen Roadtrip in die "Freiheit" zu starten. Eine Reise Richtung Wahlheimat Portugal, ohne die Sprache zu sprechen, ohne richtigen Boden unter den Füßen. So viel Ungewissheit, so viel Schmerz und Angst, aber auch so viel Neugierde und Lebenslust. Es benötigte viel Kraft unter diesen Umständen diese "Reise" anzutreten und hat Miguel und mich als Paar auch auf mehr als nur eine Probe gestellt. Wir mussten zusammenhalten. Ich musste akzeptieren Hilfe anzunehmen und abhängig zu sein. Das war nach meinem Kampf der letzten Jahre in die absolute Unabhängigkeit eine meiner schwersten Aufgaben (Blog: Vanlife auf Krücken - coming soon).



Herbst 2022 - Und jetzt?

Jetzt lebe ich ein Leben zwischen Cascais-Altstadt-Traum und Vanlife in Portugal. Nun zeige ich Albatross, so habe ich meinen neuen Bus getauft, dieses wunderschöne Land. Gemeinsam werden wir wieder Landschaften entdecken und Orte erkunden, die sich als ewige Erinnerungen in unser Herz einbrennen. Ich freue mich darauf.



Bis heute kann ich sagen, dass ich die richtigen Entscheidungen getroffen habe. Auch wenn die Zeit des Burn-Outs und der Depression die dunkelste meines Lebens war, hat sie mich doch dazu gebracht mein ganzes Leben auf Links zu drehen. Ich habe mich dazu entschieden mein Leben so zu gestalten, dass es sich besser meinen Bedürfnissen nach Freiheit und Unabhängigkeit anpasst. Ein Leben mit mehr Sonne im Gesicht und vielen Sonnenuntergängen über dem Meer. Kein Leben, in dem ich um zwei Wochen Urlaub betteln muss, sondern ein Leben von dem ich keinen Urlaub brauche.


Dazu habe ich mich entschieden. Und diese Entscheidungen waren nicht immer leicht. Ich wusste nicht, ob all das funktionieren würde. In einem Bus leben, von unterwegs aus als Selbstständige arbeiten, in einem anderen Land leben. Ich bin stolz und glücklich, dass ich diesen Mut aufbringen konnte unnd möchte jeden dazu ermutigen seinen Träumen zu folgen, anstatt Ausreden zu finden, warum es nicht klappen könnte. Es lief nicht alles glatt und teilweise fühlte ich mich von Herausforderungen und Aufgaben überfordert und überrollt. Doch ich wusste immer, was ich nicht wollte. Weil ich es erlebt habe. Und dieser Gedanke bestärkte mich umso mehr meinem Gefühl zu folgen und ein Leben zu gestalten, das mich glücklich macht.




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