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Baltic Sea Circle Rallye 2019

Aktualisiert: 7. Okt. 2022

In einem 20 Jahre alten Van 8000 km in 16 Tagen, durch 10 Länder Nordeuropas, ohne GPS, ohne Autobahnen. Das ist die Baltic Sea Circle Rallye.


Der Start in Hamburg Mit einem Van, der von oben bis unten voll geklebt mit Sponsoren-Stickern war und ausgerüstet mit einem Dachzelt von 3Dog Camping, rollten zwei völlig überdrehte Blondinen am 15.06.2019 in ihren olivgrünen Anzügen zu Beyoncés „Who run the World?“ über die Startrampe am Hamburger Fischmarkt - ab in das größte Abenteuer unseres Lebens, auf den unvergesslichsten Roadtrip, die nördlichste Rallye dieses Erdballs - und wir verfuhren uns prompt noch in Hamburg. Tatsächlich können wir uns beide an keine vergleichbare Situation in unserem Leben erinnern, in der wir so aufgeregt und glücklich waren. Wir rollten Richtung Dänemark, in unserem Van. Nach all den Ups and Downs, endlich in den Norden. Wir beide, mit 30 Playlists im Gepäck und unserem Vanlife-Traum. Die Baltic Sea Circle Rallye.


DÄNEMARK Auf der Fähre von Puttgarden nach Rodby haben wir zum ersten Mal die raue Ostseeluft eingeatmet. An Deck peitschte uns der Wind um die Ohren: „Steife Brise, geile Frise“, und wir genossen den Moment. Um uns herum waren auch andere Rallyeteilnehmer. Es war eine Aufbruchsstimmung, voller Vorfreude und Abenteuerlust. Aber es schwebte auch ein Gefühl der Gelassenheit in der Luft, weil die große Reise endlich los ging. Monatelange Vorbereitungen, schlaflose Nächte, vor allem vor dem Start, und jetzt endlich „on the road“! Wir rollten von der Fähre runter Richtung Malmö, womit unsere Dänemark Erfahrung auch schon endete. Über die Brücke, ab ins Land Nummer 2: Schweden! SCHWEDEN Das friedliche Land voller Seen und Wälder, süßen bunten Häuschen und netten Menschen. Die erste Challenge unseres Roadbooks führte uns nach Ales Stenar an die südliche Spitze der Küste Schwedens. Der Superlative Adventure Club, über den die Rallyes ausgerichtet werden, stellt jedes Jahr für jede Rallye ein sogenanntes Roadbook zusammen, durch das die Rallyeteilnehmer mit der Kultur und den Einheimischen der jeweiligen Länder in Kontakt treten können. Jeden Tag gibt es eine Aufgabe, die mehr oder weniger auch die Route vorgibt. Am ersten Tag stand die Wikinger Taufe auf dem Programm. Als Vikings-Fans ein absolutes "Must-Do" für uns. Hierfür sind wir zu einem Wikinger Denkmal gewandert, das auf einer Steilküste errichtet wurde. Über Wiesen, durch Kuhherden und mit einigen Windböen erreichten wir also diesen Steinkreis. Die Kulisse war atemberaubend schön. Die untergehende Sonne drückte sich durch die dicken Wolken und die weiten Felder wurden in ein rosa-gelbes Licht gehüllt. Das Grün der Felder leuchtete und die Weite der Ostsee fühlte sich unendlich und mächtig an.

Nachdem wir dieses romantische Naturschauspiel genossen haben, machten wir uns an die Challenge - die Wikinger Taufe. Man nehme einen schwedischen Ast, dänischen Sand, „Schweden Eisen“, Ostseewasser und stapelt diese Dinge auf dem Rücken des werdenden Wikingers, der auf allen Vieren neben einem Stein hockt und lässt ihn einmal um den Stein krabbeln. Fertig! Die Szenerie war einzigartig skurril. Man stelle sich vor, wie etwa 30 Menschen im friedlichen Sonnenuntergangslicht um Steine herumkrabbeln, während neben ihnen die wilden Kühe genüsslich ihr Gras kauen. Nur ein Bild unserer 16-tägigen Reise um die Ostsee, dass wir nicht vergessen werden. Auf dem Rückweg liefen wir durch verwachsene Feldwege und Mohnblütenfelder, die durch das lila Licht aussahen, als würden wir durch einen wahrgewordenen Traum laufen. Wir suchten uns das erste Plätzchen für die Nacht in unserem Dachzelt. Da wir im Land des „Jedermannsrecht“ waren, war uns klar, dass wir nur wildcampen würden. In einer kleinen Lichtung im Wald schlugen wir das erste Lager auf. Das Jedermannsrecht (‚Allemansrätt‘) gibt dir das Recht, dich in der skandinavischen Natur frei zu bewegen und zu schlafen. Nur einer der Gründe, weshalb man hier hin auswandern sollte.

Aus frisch gemahlenen Kaffeebohnen brühten wir unseren Wachmacher in einer French Press und bereiteten uns auf den zweiten Rallye Tag vor. Weiter gen Norden, ohne GPS und Autobahnen, lediglich eine überdimensional große Karte sollte uns den Weg weisen. Einer fuhr, der andere navigierte. So lief es die meiste Zeit der Rallye. Unser nächstes Etappenziel war der Wald von Kyrkö Mosse. Dort hat ein Mann einen Autofriedhof errichtet. Oder alte Autos in den Wald gestellt und vergammeln lassen. Wir wussten beide nicht so recht, ob das jetzt ein Andenken war, oder viel Blech und Rost. Auf jeden Fall besagen Legenden, dass ein vergammelter Bus in diesem Wald der ehemalige Tour Bus der schwedischen Band ABBA ist. Wir sind bekennende ABBA Fans und haben zu gerne die Tageschallenge mit einem Foto in diesem Bus abgeschlossen. Danach hatten wir nur noch ein Ziel: möglichst bald einen See zum Baden finden. Da wir uns schon vor der Rallye darauf einigten, keine Campingplätze anzufahren, machten wir Seen zu unserem täglichen Hygieneritual. Und das war wunderbar. Wir fühlten uns lebendig und frei. Und hatten immer noch so viele Tage mit diesem Gefühl vor uns. Die Nacht verbrachten wir an einem kleinen abgelegenen See zwischen den größten Seen Schwedens: Vännern und Vättern. Wir fanden diesen Camping Spot zufällig, als wir einen Weg durch den Wald erahnten, der zu einer kleinen Lichtung mit See und Steg führte. Als wir unser Nachtlager mit einem anderen Rallyeteam errichteten, drückte sich wie am Tag zuvor die Sonne durch die dicken Wolken und der See spiegelte den riesigen Wald auf der Wasseroberfläche wider. Unser Camping Spot war in ein einzigartiges Licht aus blau, gold und rosa gehüllt. Man fühlte die Natur und wurde immer gelassener.  Nach dem Baden bereiteten wir ein wunderbares Abendessen für sechs Leute in unserer Küche im Van vor. Ein Rallyeteilnehmer nutze die Gelegenheit und angelte. Wir tranken Wein und freuten uns über diesen besonderen Campingspot und die Sonne, die uns in der Abenddämmerung wärmte. Bereits jetzt merkte man, dass man sich kurz vor der Mittsommerwende auf der Nordhalbkugel befindet. Die Dämmerung dauerte ewig und so richtig dunkel wurde es doch nicht.

Gemeinsam haben wir auf dem Steg gegessen und angestoßen, auf diesen grandiosen Abend, der immer besser werden sollte. Mit vollgeschlagenen Mägen beschlossen wir, das Boot am Ufer zu kapern und eine Runde über den See zu schippern. Nachtbaden, Musik, ausgelassene Stimmung und immerzu kleine Bootfahrten machten diesen Abend zu einem der schönsten während der gesamten Rallye. Wir fühlten uns überschüttet von positiven Emotionen und waren so dankbar für die Momente, die wir bis zu diesem Zeitpunkt bereits erleben durften.

Nach einer sehr kurzen Nacht mit ein bisschen zu viel Wein und Gin, erfrischten wir uns mit einer Morgendusche im See, bereiteten Frühstück für unterwegs vor und rollten in bayrischer Lederhose weiter Richtung Norden. Tag Nummer drei und der letzte Tag in Schweden. Schon jetzt merkten wir, dass es absolut keinen Sinn machte, irgendwas zu planen. Wir wussten nicht, wie weit wir kommen würden, wo wir schlafen würden, was wir essen würden, wen wir treffen würden. Spontanität war das Zauberwort. Also fuhren wir spontan weiter durch die friedliche Natur Schwedens und durch kleine, verträumte Dörfer. Unsere Aufmerksamkeit wurde immer wieder auf kleine Schilder am Straßenrand gelenkt. „Löppi“. Was für ein süßes Wort. Und was ist so ein Löppi eigentlich? Nach dem vierten Schild hielten wir an und gingen unserem neuen Lieblingswort auf die Spur. Ein Löppi ist ein kleiner, einfacher Flohmarkt drinnen oder draußen, auf dem man Krims Krams und Antikes kaufen kann. Die Schweden sind halt einfach ein niedliches Völkchen. Die heutige Challenge sollte uns für einige Zeit trennen. „Car Pool Switch“ war angesagt. Und jetzt erzählen wir euch ein kleines Wunder. Schon vor dem Start haben wir ein Team kennengelernt, das den ersten Unimog durch die Sommerrallye lenken würde. Wir stehen auf große Autos und mächtige Räder (RIP DANGER) und haben uns nichts sehnlicher gewünscht, als einmal UNIMOG zu fahren. Was sind wir nur für Glückspilze. An einem sonnigen Straßenrand mitten in Schweden stand er. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt seit mehreren Stunden kein anderes Rallye Auto gesehen. Und dann fahren wir in die großen Arme dieses wunderschönen Autos. DANKE LEBEN!

Völlig überdreht sprangen wir aus Armadillo und forderten den sofortigen Beifahrerwechsel. Die Männer waren überrascht, fanden es aber auch sehr witzig. So fuhren wir den restlichen Tag mit dem Unimog Team durch Schweden. Es war ein bisschen wie fliegen, von soweit oben den Überblick über jedes Auto zu haben, auf gleicher Höhe mit den Vögeln in den Bäumen und LKW-Fahrern, die einem entgegenkamen. Wir fuhren Richtung Örebro, in die Nähe der norwegischen Grenze. Die Natur veränderte sich spürbar. Die Sonne stand länger tief, die Wälder wurden nadeliger und Felsen gröber. Die Straßen waren lang und verträumt. Esther fuhr irgendwann mit Blues Musik und JP in Armadillo, während Heiko mit Anne im Unimog fuhr und sich Geschichten über Adler, Bienen und Pilze sammeln erzählten. Esther studierte die Karte und navigierte voraus, an einen wunderschönen See, über dem gerade die Sonne versuchte unterzugehen. Eigentlich verschwand sie nur kurz hinter den mächtigen Bergen am Horizont. Wir waren schon so weit nördlich, dass es nicht mehr richtig dunkel wurde. Es war eine sechsstündige Dämmerung. Der See ruhte in sich. So wie wir. Unsere Blicke verloren sich in der Szenerie des Abendlichts und wurde nur durch die kleinen Sprünge von Fischen unterbrochen. Hier mussten wir unsere tägliche See-Dusche leider ausfallen lassen, da aus unerklärlichen Gründen die Temperatur so rapide sank, dass wir im Minutentakt eine Schicht Klamotten mehr anziehen mussten. Wir waren noch nicht mal am Polarkreis und froren dennoch wie in der Arktis. Gefühlt. Andere Rallyeteilnehmer, nur 30 km von uns entfernt, klagten über Mückenschwärme, die das Rausgehen unmöglich machten. Aber nicht über Kälte. Am nächsten Morgen schälten wir uns aus unseren zehn Schichten Klamotten, als die Sonne auf das Dachzelt zielte und die Wärme in uns hochschoss. Es waren noch 60 Kilometer bis zur norwegischen Grenze und eine Challenge war noch zu erledigen. Wir mussten eine Dose Surströmming kaufen, öffnen, und 200 km im Auto transportieren. Kleine Info zu dieser schwedischen Delikatesse: Surströmming (schwedisch „saurer Hering“) ist eine schwedische Fischspeise, die durch Säuerung konserviert wird. Sie riecht „intensiv; faulig und stinkend“. Manch einer hat vielleicht schon mal ein Video auf YouTube gesehen, wie Menschen an diesem Fisch riechen und unmittelbar einen extremen Würgereiz verspüren. Wir waren tatsächlich sehr gespannt auf diesen Geruch.

Kurz vor der Grenze fanden wir den süßesten kleinen Supermarkt und kauften diese gelb-rote Dose inklusive Dosenöffner, den wir nicht verstanden und deswegen einen freundlichen Schweden auf seiner Veranda um Hilfe gebeten haben. Ok. Es ging los. Wir zogen den Deckel zur Seite und nahmen beide eine Nase... Hm. Wir wollen nicht angeben, aber... Das haben wir uns viel schlimmer vorgestellt! Natürlich riecht es nicht angenehm. Aber manch Fischgeruch an irgendwelchen Häfen ist um einiges schlimmer. Ab ins Auto mit dem Surströmming und ab über die Grenze, hinein in das Land der Berge, Wasserfälle und Trolle: Norwegen! NORWEGEN Die ersten 100 Kilometer durch Norwegen waren wir fast allein. Eventuell kamen uns zwei Auto entgegen, die wir aber kaum bemerkten. Die Straßen waren endlos. Die Berge riesig. Durch die Schmelze entstanden überall Wasserfälle. Ein atemberaubendes Spektakel der Natur. Man merkte sofort, dass man hier in einem neuen Land war. Wir nutzten viele Gelegenheiten, um über Felsen zu klettern und einen Blick auf einen neuen Wasserfall zu erhaschen. Tatsächlich waren sie hier im Gegensatz zu dem, was wir noch erleben würden, recht klein. Dennoch, wieder ein wunderbares Gefühl im Einklang mit der Natur. Der heutige Weg war einer der längsten. Wir hätten unsere Nerven wohl verloren, wenn wir nicht immer wieder durch die Natur entschädigt worden wären. Denn es war auch einer der schönsten Wege während der Rallye. Unser heutiges Ziel: Bodö. Von dort aus sollte es mit der Fähre weiter auf die Lofoten gehen. Auf dem Weg über den Arctic Circle machten wir eine der unvergesslichsten Erfahrungen unseres Lebens. Ja, wir können das so sagen, weil wir es wirklich so gefühlt haben. Die Straße durch den Norden Norwegens hat sich so in unser Herz gebrannt, dass wir sie nie vergessen werden. Es gab nichts Bestimmtes. Nur das Hier und Jetzt, nur die Straße, wir beide, und die unberührte arktische Natur um uns herum.

Die Landschaft war wild, sie war rau. Ungebändigt und wunderschön. Endlos und fremd. Wir waren ehrfürchtig und dankbar, diese Natur erleben zu können. Das Gefühl war wie eine wilde Welle, die uns bewegte und dennoch in diesem Moment innehalten lies.

Wir spürten, dass wir sehr weit über dem Wasserspiegel waren. Hier und da türmten sich kleine Schneehügel in den Kuhlen der felsigen braunen Landschaft. Am Horizont erstreckten sich massive Bergketten, deren Spitzen vom Schnee bedeckt waren. Einige Sonnenstrahlen schafften es durch die Wolkendecke und hüllte die kühle Natur in

ein wärmendes Licht. Die Luft war eisig und klar. Wir stellten uns in die Mitte dieser leeren endlosen Straße und genossen den unendlichen Moment voller Gefühle, die wir so nicht kannten.


Unsere Körper waren voller Euphorie und Glückshormone. Wir wollten mehr erleben. Immer mehr. Wir fuhren weiter in Richtung der Berge und sahen von der Straße aus, eine Hängebrücke über einem wilden Fluss. Die Wassermassen tobten unter unseren Füßen hindurch. Unser Gedanke: Wir sind so weit oben... das Wasser muss von irgendwo herunterfallen. Wo ist der Wasserfall? So rollten wir mit Armadillo weiter, der Surströmming war zu diesem Zeitpunkt übrigens schon seit 6 Stunden in unserem Auto. Aber man gewöhnt sich halt an alles. Wir suchten nach dem Wasserfall, stolperten Trampelfade hinunter, sprangen über Felsen und landeten schließlich wieder an dem wilden Fluss. Das Wasser leuchtete an manchen Stellen türkisblau, an anderen sprudelte der weiße Schaum. Im Hintergrund ruhte eine dunkelgrüne Wand aus Tannen und dahinter türmten sich die massiven steilen Berge. Wir verweilten einen Augenblick, um die Eindrücke der letzten Stunden auf uns wirken zu lassen und nahmen die letzte Etappe in Angriff.

Jetzt ging es im goldenen Sonnenlicht der nicht untergehenden Sonne über die Berge an friedlichen Fjorden entlang, durch die Felsen, hoch und runter. Man kann es nicht beschreiben. Man muss es erleben. Und ein jeder würde sich so schlagartig in die wilde Natur verlieben wie wir. Nachdem wir uns noch einmal verfahren haben, aber dafür mit einem riesigen Elch die Straße teilen durften, stellten wir uns an der Autoschlange für die Fähre auf die Lofoten an. Ausschließlich Rallye Autos reihten sich hier ein. Die einen versuchten zu schlafen, die anderen feierten wilde Partys auf den leeren Spuren, weitere schraubten an ihren Autos und noch andere tranken einfach gemütlich ihr Bier. Es war fast Mitternacht und immer noch taghell. Wir gesellten uns zu einer Truppe Männer: Die Teams Wartburgpiloten und Baltic Fire. Ja, diese Rallye wird prozentual von Männern dominiert. Wir zählten bei 280 Teams nur drei andere reine Frauen Teams. Es wurde Kaffee aufgebrüht, von unseren Abenteuern der letzten Tage erzählt und währenddessen warteten wir auf die nächste Fähre, die um drei Uhr nachts ablegen sollte. Als vorletztes Auto rollte Armadillo über die Verladerampe. Ein Glück! An Deck genossen wir die Szenerie der „nächtlichen“ Dämmerung über Bodö und schliefen Fuß an Fuß auf einer Bank ein. Es gab auch noch andere freie Bänke, aber wir wollten lieber beieinander sein auf dem Weg zu unserem persönlichen Highlight Ziel: die Lofoten!

LOFOTEN (Norwegen)

Nach 3 Stunden wachten wir durch ein lautes dröhnendes Geräusch auf. Sofort liefen wir an Deck, um die ersten Eindrücke der Lofoten aufzusaugen. Es war 6 Uhr morgens und die Wolkendecke hing noch tief in den Gebirgsketten. Die Luft war rau und kühl, doch konnte man schon einen Blick auf die ersten roten Fischerhäuschen erhaschen, die über dem Wasser ragten. Diese Bilder, die man nur von Fotos kennt, und jetzt ist man selbst hier. Unwirklich!

Noch recht verschlafen fuhren wir nach Reine und stellten uns für einen letzten Powernap an eine kleine Bucht. Als wir nach zwei Stunden wieder aufwachten, brühten wir uns einen frischen Kaffee auf und zogen uns kuschelige Klamotten an. Wir schauten auf eine Bucht mit einem spitzen Berg dahinter aufragend, den man von vielen touristischen Magazinen über die Lofoten kannte, den Reinebringen. Davor schlief das kleine Dorf mit gerade einmal 300 Einwohnern, Reine. Es ist bekannt als eines der schönsten Dörfer auf den Lofoten und hat besonders viele der charakteristischen roten Fischerhütten („Rorbuer“), die zur Hälfte auf Stelzen stehend ins Meer ragen. Neben uns hingen tausende Fische, auch Skrei oder Stockfisch genannt, zum Austrocknen an hölzernen Dreieckskonstruktionen, unter denen man durchlaufen konnte. Hob man den Kopf, konnte man direkt in die aufgerissenen Mäuler der norwegischen Delikatesse schauen. Der Geruch war neuartig, nicht besonders schön, aber irgendwie doch.

Wir genossen unseren Kaffee mit Blick auf diese einmalige Szenerie und planten unseren Wandertrip. Unser Ziel: der Kvalvika Beach. Einer der schönsten Strände der Lofoten, umhüllt von schroffen dunklen Felsen. Der Wanderweg war steinig und steil, doch wir wussten, dass sich der Blick lohnen würde und kletterten hoch. Wieder schlich sich ein Gefühl von Ehrfurcht ein. Diese riesigen dunkelgrauen Felswände zu unseren Seiten schienen sich fast zu bewegen und die Felsen, die wir hochkletterten, waren teilweise größer als wir selbst.

Nach etwa 30 Minuten erreichten wir die Spitze des Wanderweges und hielten inne. Wir blickten auf eine Bucht mit weißem Sand und türkisblauem Meer, halb umrundet von dunklen und massiven Bergen, die steil und gewagt auf den friedlichen Strand ragten. Als wir die sanfte Brandung erreichten und mit nackten Füßen im weichen kalten Sand standen, fühlten wir uns unglaublich gut und zugleich ganz klein. Wir hatten das Glück an diesem wunderbaren Fleckchen Erde zu stehen. Die Natur war atemberaubend und nahezu unangetastet.


Wir sagen nahezu, weil wir auch hier mit Bedauern sehen mussten, wie viel Plastik durch das Meer an den Strand gespült wird. Es gab eine große Sammelstelle, auf die wir auch noch weitere Plastikgegenstände legten. So wurde dieser schöne Moment am Strand von Kvalvika auch ein Moment von Betroffenheit. Einen Ort wie diesen, so abgelegen und außergewöhnlich, voller Müll zu sehen, traf uns sehr. Und wir waren uns einmal mehr sicher, während der Rallye für die richtigen Organisationen Spenden zu sammeln: die Plastik Crew Sylt, die sich für eine saubere, plastikfreie Insel einsetzt, über die Plastikfluten aufmerksam macht und Alternativen zur Plastikvermeidung aufzeigt; und DEEPWAVE e.V. - die Meeresschutzorganisation, die sich besonders für den Schutz der Meeresbewohner einsetzt.

Wir machten einen kleinen Spaziergang durch den hellen Sand, spürten das Polarwasser an unseren Füßen und sprachen über die zwei Surfer, die an diesem Strand mehrere Monate überwinterten. Sie bauten sich eine kleine Hütte aus Holz und Steinen auf einer Erhöhung in der Nähe der großen Felsen. Wir fanden die Hütte, deren Eingang von einer massiven runden Holzplatte geschützt wurde. Der Innenraum war eher höhlenartig, zusammengeschustert aus allem, was Mutter Natur in dieser Gegend hergab, oder was vom Wind und Meer ans Land gespült wurde. In der etwa 4 Quadratmeter großen „Hytta“, wie sie sie selbst nannten, waren hunderte Verewigungen von „Pilgern“, die von dem mutigen Ausstieg der beiden jungen Männer beeindruckt und inspiriert waren. Es lag noch alles genauso da, wie sie es verlassen haben. Stifte, Bilder, Erinnerungen, Dosen mit Essen, Briefe, selbst ein T-Shirt hing noch über dem kleinen Ofen mit Schornstein. Es war beeindruckend, mit wie viel Ehrfurcht und Respekt dieser Ort behandelt wird. Am liebsten hätten wir jede kleine Botschaft gelesen und jeden kleinen Gegenstand unter die Lupe genommen. Man kann sich kaum vorstellen, wie viel Nippes und Text in einem so kleinen Raum über die Jahre zusammenkommen. Fast so, als würden immer noch Menschen darin wohnen.

Wir machten uns auf den Rückweg, um noch weitere Orte der Lofoten zu erkunden. Am liebsten hätten wir jeden einzelnen Stein, Sandkorn, Grashalm und Stockfisch dieser Insel kennengelernt, aber es blieben uns nur etwa 40 Stunden, um den Ort zu sehen, der womöglich der schönste Ort auf der gesamten Rallye für uns war. So war unser nächstes Ziel der Haukland Beach. Wieder ein Strand, der wie eine Bucht von Bergen umhüllt war. Wir liefen zuerst durch einen Mix aus Sand und Gras, stiegen über mehrere Schafe und erfreuten uns über Lämmer, bevor wir auf große, weiche, helle abgerundete Steine sprangen, die sich über die gesamte Bucht erstreckten. Das türkisblaue Wasser peitschte gegen diese einzigartigen Felsformationen und riss uns teilweise mit. Wir klettern gerne auf Felsen hinauf, die dann von Wellen erfasst werden und wundern uns hinterher, warum unsere Füße und Beine ständig nass sind.

Das Licht war hell, die Wolken waren weiß. Die Meeresbrise war frisch und klar. Wir hätten am liebsten noch Stunden hier verweilt. Doch der Plan war ein anderer. Während der Rallye um die Ostsee gibt es zwei große Veranstaltungen, bei denen sich alle Rallye Fahrer treffen, trinken und feiern. Die erste war in Hov, ein Ort nördlich auf den Lofoten. Es war der 19. Juni, kurz vor Mittsommer. Wir blickten über einen kleinen hellen Strand bis an den Horizont, über dem die Sonne die ganze Nacht lang zu sehen sein sollte. Wir grillten gemeinsam, spielten Wikingerspiele und schwitzen in der Sauna. Gegen 23 Uhr wurde zum Nachtbaden geladen. Alle, die mutig oder verrückt genug waren, sollten in das 10°C kalte Polarmeer springen. Das wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen und reihten uns ein. Als alle in Richtung Wasser liefen, wurden unsere Körper von Adrenalin und einer animalischen Macht befallen. Wir brüllten, rannten und stürzten uns ins kalte Nass. Das Meer war so kalt, dass es weh tat, doch unsere Körper wollten mehr und wir sprangen noch ein zweites Mal hinein. Danach wärmten wir uns am riesigen Lagerfeuer. Wir waren vom Scheitel bis zu den Fußspitzen euphorisiert. Das ist Leben! So soll es sein. So fühlt es sich an!

Um 24 Uhr haben wir gemeinsam mit anderen Rallyefreunden in Esthers Geburtstag rein gefeiert. Die Stimmung war ausgelassen und entspannt. In dicke Klamotten gehüllt, prosteten wir uns am Lagerfeuer zu und genossen den Abend im kühlen Sonnenlicht. Was für eine wundervolle Nacht!

Am nächsten Morgen ging die Fahrt durch die norwegische Postkartenlandschaft weiter. Wir fuhren auf die kleine Insel Henningsvaer, ein kleines Fischerdörfchen mit dem wohl berühmtesten Fußballplatz der Welt. Denn er passt genau auf eine kleine Halbinsel und sieht besonders aus der Luft skurril und unwirklich aus. Wir schossen ein paar Bälle ins Tor und hatten damit die Challenge des Tages erledigt. Weiter gen Norden Richtung Tromsö führten uns die Serpentinen wieder einmal durch eine sagenhaft schöne Natur. Die Berge wurden immer höher, die Fjorde immer weiter, die Luft immer kühler und die Sonne immer heller.

Auf einer einsamen Straße irgendwo in der Wildnis von Nord-Norwegen mussten wir anhalten und auf einen Parkplatz fahren. Die Schönheit, die sich dort vor uns erstreckte, war kaum auszuhalten. Ein riesiger See blitzte in tausenden Blautönen und dehnte sich bis zum Horizont aus, an dem sich eine beeindruckende Bergkette aufbaute. Die Szenerie wird auch als subarktische Wildnis bezeichnet, und erstreckt sich durch den ganzen Norden von Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Es ist die Heimat der nordeuropäischen Ureinwohner: die Sami. Ihre Heimat nennt sich Lappland. Die einstigen Nomadenvölker besitzen auch heute noch häufig Rentierherden und leben in ihren Jahrhunderte alten Bräuchen. Die Sámi sind ein indigenes Volk, das früher „Lappen“ genannt wurde und bedeutet so viel wie „Sumpfleute“. Die Sami Bevölkerung macht nur etwa 4% der Gesamtbevölkerung aus und wird daher als Minderheit bezeichnet.

Wir hielten an einigen kleinen Sami-Souvenirläden, tranken frischen Kaffee, der in einem Zelt überoffenem Feuer gebrüht wurde, und kauften uns kleine Andenken. Allein um diese Kultur noch mehr zu ergründen, würden wir gerne wiederkommen und in einem der Sami Dörfer leben.

Je nördlicher wir kamen, desto kühler wurde es. Dennoch wollten wir weiterhin wildcampen und suchten mit einem befreundeten Team den nächsten Spot für die heutige Nacht. Wir hörten von den Lyngenalpen, die sich kurz hinter Tromsö an den vielen Fjorden erstrecken und atemberaubend schön sein sollten. Wir fuhren über Schotterpisten und abgelegenen Wegen auf ein Feld direkt am Meer, auf dem Stockfisch getrocknet wurde. Der Anblick, der sich uns dann eröffnete, ist eigentlich unbeschreiblich. Die derzeitige Ebbe lies vereinzelt große Felsen aus dem Polarmeer ragen. Die Sonne blitzte hinter den Bergkuppen der Lyngenalpen hervor. Wir waren umrundet von diesen wunderschönen weißen Giganten. Nur dort, wo die Sonne während der Nacht über den Horizont gleiten würde, öffnete sich die Bergkette und der Horizont wurde sichtbar. Das Licht war golden, die Natur spiegelte sich verschwommen in der ruhigen Ebbe des Polarmeeres, die herausragenden feuchten Felsen glitzerten im Sonnenlicht und das Dünengras am Ufer färbte sich goldgelb. In der steinigen Bucht schaukelte ein kleines Ruderboot, diesmal leider befestigt, so dass wir keine Möglichkeit hatten, wieder aufs Gewässer hinaus zu schippern.

Wir bereiteten wieder einmal ein Abendmahl der Extraklasse in unserer kleinen Van Küche vor und schmückten unseren Camping Ground mit Tischen, Stühlen, Decken, Fackeln und Kerzen. Wir verweilten wahrscheinlich acht Stunden hier und gingen erst früh morgens zu Bett. Wenn die Sonne nicht mehr untergeht, ist auch der Schlaf nicht mehr so wichtig. Wenn es nur immer so sein könnte.

Das Ziel unseres nächsten Tages war das Nordkap, der nördlichste Punkt Europas. Wir ahnten noch nicht, was für Strapazen dieses Vorhaben mit sich bringen würde. Aber wir fangen von vorne an. Unsere Route führte uns durch die Stadt Alta, die dafür bekannt ist, dass man hier im Winter besonders viele Nordlichter sehen könne. Wir fuhren an einem Schild vorbei, das uns an Höhlenmalerei erinnerte und landeten nach ein paar weiteren Schildern in einem Museum. Am Ende des Altafjordes wurden hier Malereien aus der Steinzeit gefunden, die bis vor kurzem noch von dem Wasser verdeckt waren. Da wir beide so etwas noch nie gesehen haben, entschlossen wir, diesen kulturellen Kurztrip mitzunehmen. Die Malereien zeigten Tiere wie Bären, Elche und Wale, Menschen und Boote, die schon den Wikingerbooten gleichkamen. Die Höhlenmalereien sollen 170.000 Jahre alt sein. Im wahrsten Sinne des Wortes war dieser Trip „kurz“, denn wir hatten noch eine ordentliche Etappe vor uns.

Die Straßen wurden immer leerer, die Natur immer kahler, bergiger und rauer. Wir erreichten die Tundra. Um genauer zu sein: die subpolare Bergtundra. Wenn wir uns während der gesamten Reise immer wieder über Rentiere gefreut haben, erreichten wir hier das Rentierparadies. Die Herden waren einfach überall. Auf der Straße, in den Wäldern, an den Seen. Ganze Familien und von weiß bis dunkelgrau, mit und ohne Geweihe. Es war einfach beeindruckend. Der Norden hat uns mit all seinen wilden Seiten in einen Bann gezogen, aus dem wir nicht mehr herauswollten. Unser Aufstieg auf Rädern zum Nordkap begann.

NORDKAP (Norwegen)

Nach einem 7.000 Meter langen Tunnel, der 200 Meter in die Tiefe ging und sich spürbar auf unser körperliches Wohlbefinden auswirkte, waren wir auf der kleinen Insel Margeroya angekommen. Wir fuhren eine steinige Felsküste entlang. Vor uns und am Horizont türmten sich massive dunkle Steilküsten. Die würden wir also auch noch hochfahren. Unsere Köpfe fühlte sich bereits jetzt wie Wackelpudding an. Eventuell war es der Breitengrad, die Nähe zum Nordpol, das ewige Hoch und Runter und Kurven fahren. Ein Glück fuhren wir die meiste Zeit mit anderen Rallyeteilnehmern in Kolonne und konnten uns so mental gegenseitig anschieben. Außerdem entschädigte die Natur mal wieder für alle Strapazen.


Wir bewunderten die Menschen, die an diesem wilden Ort der Erde ihr zu Hause haben. Es ist das ganze Jahr über kahl, windig und kalt. Und trotzdem wunderschön. Aber hier leben? Im Nichts? Im Sommer geht die Sonne drei Monate nicht unter. Im Winter geht sie drei Monate nicht auf. Es gibt keine Bäume oder Pflanzen. Lediglich die wilde und unberührte Fauna der Tundra, gelbes Dünengras und schroffe, kantige Felsen, die sich durch die unendlichen Weiten der Nordkapregion erstrecken. Je höher wir kamen, desto mehr verbreitete sich dieses bekannte Gefühl der Ehrfurcht wieder in uns aus. Die Szenerie kam einer Mondlandschaft gleich. Unberührt, einsam und endlos auf der einen Seite. Zur anderen Seite hatten wir einen einzigartigen Ausblick über die Täler und unsere bisherige Route, die sich in Serpentinen durch die Berge windete.

Mit etwa 30 km/h tuckerten wir mit 20 anderen Rallyeautos die kurvigen und steilen Straßen zum Nordkap hinauf. Auch wenn der ein oder andere eventuell schneller gewesen wäre, stand hier der Zusammenhalt ganz weit oben. Das Rallyegefühl ist wirklich nur schwer zu beschreiben. Wenn man in Mitten dieser vollgeklebten Autos die nördlichste Straße Europas hochfährt, in den Rückspiegel schaut und die glücklichen Gesichter in den Autos sieht, im Hintergrund eine Naturgewalt, die alle begeistert, hin zum gemeinsamen Ziel: Die Weltkugel am Nordkap. Das ist wirklich einmalig.


Anne: „Lass uns unsere Anzüge anziehen und an der Kugel ausziehen, nur Bikinis drunter. Das hat noch nie jemand gemacht“. Nach kurzen Zweifeln, aber mit der Wirkung des letzten Satzes, willigte Esther ein. Wie könnten wir auch besser unsere nordfriesischen Vorsätze und Bräuche beweisen, wenn wir uns nicht am windigsten und kältesten Ort der Erde einfach mal ausziehen würden.


Vor lauter Aufregung waren wir natürlich wieder hellwach, liefen zum Auto, zogen uns in der Eiseskälte um und machten uns auf den Weg zur Kugel. Wir fragten ein Rallyeteam, ob sie einfach mit der Kamera draufhalten könnten, denn es würde jetzt etwas passieren, aber wir sagten nicht was. Verdutzt willigten sie ein. Der Moment war gekommen. Zuerst posten wir in Army-Manier, bis wir uns das Zeichen gaben und unsere Anzüge auszogen. Hoch die Hände, kurz erfrieren, nett lächeln, und wieder runter gehüpft. Eine Mischung aus Lachen und Raunen ging durch die Menge. Zurück in den Anzügen wurde uns wonnig warm und wir verweilten noch einen Augenblick an der steilen Küste und philosophierten darüber, was ab hier noch nördlicher lag und wie wunderschön unsere Erde ist.


Uns war natürlich bewusst, dass wir mit dieser Aktion dem Rallyeaffen Zucker geben würden. Aber für uns war einfach nur wichtig, dass wir den Moment leben und etwas Verrücktes tun, das wir niemals vergessen würden. Und das ist passiert. Für uns! Und ein Foto für die Ewigkeit. Es war etwa 23 Uhr nachts, die Sonne stand immer noch direkt über uns. Dennoch war es dort oben so eisig kalt, dass wir uns in unsere Schlafsäcke hüllten und versuchten im Auto aufzuwärmen. Wir wussten nicht, wie und wo wir schlafen sollten. Das Wetter war so ungebändigt wild und der starke Wind lies das Auto hin und her wackeln. Wir waren ratlos. Das erste Mal auf der Rallye waren wir absolut ratlos. Wir fühlten uns beide nicht mehr fit genug, um den ganzen Weg herunter zu fahren. Dafür waren die Wetterverhältnisse und die Straßen zu extrem. Da es nicht ungemütlicher werden konnte, beschlossen wir dennoch ein paar Meter herunter zu fahren und einfach mal zu schauen.

Wie sich herausstellte, war das die beste Entscheidung der gesamten Rallye.

Nur eine Fahrtzeit von 3 Minuten führte uns an eine kleine Lichtung am Straßenrand. Hier stand das Team Longship, zwei Dänen mit einem Lada, die dafür bekannt waren, jede Nacht der Rallye komplett unter freiem Himmel zu schlafen. Wir sahen, wie sie ihr Schlaflager in der großen Senke neben der Straße aufbauten, machten eine Vollbremsung und fragten, ob wir uns dazu gesellen konnten. Natürlich!


Wir nahmen unsere Schlafsäcke und legten uns einfach in das wilde Gras.

In der Senke war es absolut windstill und die Sonne hüllte unseren Schlafplatz die ganze Nacht in goldenes Licht. Wir schauten in die wilde Natur der Tundra und schliefen ein, während wir Rentierherden in den Bergen vor uns beobachteten.

Es war der 21. Juni, Mittsommernacht. Wir schliefen unter freiem Himmel. Am Nordkap. Es war die schönste Nacht unseres Lebens und ein unvergessliches Erlebnis.

Um 4 Uhr in der Früh machte Esther Kaffee, während Anne sich aus ihrem Schlafsack befreite. Die Nacht war zwar kurz, aber die Reise ist lang. Macht das Sinn? Hier hat nichts mehr viel Sinn gemacht, aber das gehört wohl auch zu einer Rallye dazu. Mit der Zeit wird alles relativ und man wird ein bisschen verrückt. Spontanität ist alles, was zählt. Das Leben, leben. Den Moment genießen. Dinge nehmen, wie sie kommen. Hier versteht man, was das bedeutet.

Unser heutiges Ziel war Finnland. Aber zuerst mussten wir diesen strapaziösen Weg voller Höhen und Tiefen, Serpentinen und Tunneln wieder hinter uns bringen. Wie schon des Öfteren erwähnt, entschädigte uns die Natur immer wieder, und in diesem Fall erfüllte sie sogar einen Lebenstraum von Anne. Wir waren bereits fast eins mit dem Meeresspiegel, zur Rechten erhob sich eine massive Felsmauer, zur Linken das wilde Polarmeer, als Anne eine Vollbremsung machte und so die Rallyeautos hinter uns ebenfalls zum Ausweichen und Bremsen brachte. Aus gutem Grund: Auf einem Felsen am Wasser thronte ein Seeadler. Wir sprangen raus und bewegten uns vorsichtig zur Küste. Es war ein Jungvogel, und dennoch immens groß, als er zum Flug ansetzte und die breiten Flügel auseinanderschlug. Verfolgt von Möwen, bahnte er sich seinen Flugweg durch die Lüfte und verschwand irgendwann. Danke Natur, dass du uns diesen Moment beschert hast. Wie viele Glücksmomente können wir eigentlich noch ertragen?

Kurz vor der Grenze zu Finnland holten wir unsere Lieblings-Boys ein, dass Garage Marienthal Team, und baten um Obhut, da das Wetter ab hier absolut nicht mehr zum Wildcampen einlud. Es regnete wie aus Eimern und sollte nicht mehr aufhören. Was tut man da? Richtig: Man gönnt sich eine typisch finnische Holzhütte mit Sauna mitten im Wald.

FINNLAND

Kilometerlange einsame Straßen an deren Seiten sich endlose Nadelwälder reihten. Weit und breit keine Häuser und keine Menschenseele. Wir waren in Finnland, oder Lappi, Lappland Finnland. Die Fahrt durch das nasse Grau war ermüdend, und so hielten wir uns über Funk mit der Garage Marienthal bei Laune, indem wir uns Witze erzählten und so taten, als wüssten wir extrem viel über die Geschichte und Bevölkerung Finnlands.

Wir fuhren einmal quer durch das Land bis kurz vor den Grenzübergang nach Russland, Raja-Jooseppi. Den Schlüssel für die Hütte holten wir in einer nahegelegenen „Mall“ ab. Hier sahen wir auch wieder das erste Mal Menschen. Die meisten hatten typische Sami-Züge: dunkles Haar, mandelförmige Augen, markante Gesichtszüge, blasse Haut. Eine ganz besondere Exotik im hohen Norden.

Unsere Hütte lag mitten in einem versteckten Wald. Wir verliebten uns alle auf den ersten Blick. Komplett aus Holz, mit eigenem See und einer Veranda, von der aus man den kleinen See in dem verträumten, eingeregneten Wald betrachten konnte. Es gab zwei Saunen und einen Kamin. Diese Hütte im Wald von Finnland war der Inbegriff der unendlichen Gemütlichkeit. Und um ehrlich zu sein auch bitter nötig, nachdem wir die letzten drei Nächte in der arktischen Wildnis verbracht haben.

Wir alle spürten die Strapazen der letzten Tage und waren sehr dankbar für dieses luxuriöse Spa-Gefühl. Wir nutzten die Zeit für Saunagänge, kühlten uns im eiskalten See ab, mixten Drinks und wärmten uns am Kamin. Die Nacht wurde ausgelassen und lang. Irgendwann saßen wir alle im Wohnzimmer und sangen verträumt und voller Emotionen „Wonderwall“ von Oasis. Ja, unendlich kitschig, aber auch unendlich schön. Wir dachten alle kurz darüber nach, die Rallye abzubrechen und einfach für immer hier zu bleiben.

Am nächsten Morgen sind wir alle mit einem Schrecken aufgewacht. Wir hatten bis elf Uhr geschlafen! Um elf Uhr sollten wir eigentlich auch schon die Unterkunft verlassen haben. Um elf Uhr wollten wir eigentlich auch schon an der Grenze zu Russland stehen, denn man warnte uns mehrfach vor der stundenlangen Wartezeit. Unsere Körper haben sich einfach die Erholung geholt, die sie brauchten. Man spürt es selbst kaum, da man durchgehend von Endorphinen und Adrenalin durchspült wird. Doch kam man zur Ruhe, merkte ein jeder, wie sehr einem die letzten Tage in den Knochen steckten.

Wir brachten den Schlüssel zurück in die einzige Mall im Umkreis von gefühlten 500 Kilometern und machten uns auf den Weg an die russische Grenze. Über eine Offroadpiste durch den Wald rollten unsere drei Autos durch den Sonnenschein von Finnland. Überall waren wieder Rentierfamilien, die besonders an den Wasserläufen verweilten und ein traumhaftes Bild entstehen ließen. Tatsächlich stieg die Nervosität bezüglich der russischen Grenze und einem so unbekannten Land, in dem wir noch nicht einmal die Sprache oder Schrift verstehen würden. Aber gerade das machte es auch so spannend.

RUSSLAND

Die Grenze. Wir machten uns auf mehrere Stunden Wartezeit gefasst, da man bei der Ein- und Ausreise nach Russland nicht nur sich selbst mit einem 130€ Visum über die Grenze bringen muss, sondern auch sein Auto gesondert importiert, und bei der Ausreise wieder exportiert. Entgegen vieler Gerüchte waren die Menschen an diesem Grenzübergang aber recht freundlich. Und da wir eh eine Affinität für den Army-Lifestyle haben, haben wir uns die Zeit mit dem Bestaunen der Uniformen und der autoritären Soldaten vertrieben. Nach gerade mal drei Stunden wurden uns dann unsere Papiere in die Hand gedrückt. Alle vor uns wurden von einem uniformierten Mann hinausbegleitet. Wir wurden einfach verabschiedet. Andere Rallyeteilnehmer, die das ebenfalls mitbekommen hatten, schauten uns genauso verdutzt und unsicher an, wie wir uns fühlten. Einer sagte mit einem Lachen: „Lauft!“. Wir haben ebenso gelacht und verließen das Gebäude. An unserem Auto wurden wir dann aber doch noch einmal gebeten, alle Türen zu öffnen, damit wir auch sicher nichts mit hereinschmuggelten. Ein Glück war Armadillo schon zu so einem fahrendem Chaos auf vier Rädern verkommen, dass die Grenzkontroll-Seniora gar keine Lust hatte, uns weiter zu durchsuchen.

Wir fuhren also hinein ins raue und unbekannte Russland. Navigation war hier nicht mehr nötig. Es gab nämlich nur eine einzige Straße, die nach Murmansk, unser nächstes Rallye-Ziel, führte. Kurz vor Murmansk hielten wir an einem kleinen Straßenstand, hinter dem zwei Babuschkas selbstgemachte russische Spezialitäten verkauften. Hier haben wir das erste Mal wieder „Leben“ nach der Grenze gesehen und ersehnten uns den ersten Kontakt mit der russischen Kultur, die uns gleich tausend Glücksgefühle bescherten. Die alten Damen waren zuckersüß und wollten, dass wir alles probieren.

Was wir da genau aßen, wissen wir nicht mehr. Sie redeten ununterbrochen auf Russisch und wir versuchten uns irgendwie mit Händen und Füßen zu verständigen. Alle lachten und es war ein schönes „добро пожаловать“ (dobro pozhalovat) – „Willkommen“ in Russland.

Nach der ersten schönen Berührung mit der russischen Kultur, folgte auch gleich eine, die uns immer noch das Blut im Körper gefrieren lässt. Wir fanden jemanden an einer Tankstelle, der minimal Englisch sprechen konnte. Diese Sprache existiert hier einfach nicht. Es war ein etwa Mitte 40-jähriger Mann mit einem kleinen Hund. Erst einmal vertrauenserweckend. Er fragte uns, ob wir Russland (oder Russen) mögen. Wir bejahten das selbstverständlich. Aber eigentlich haben wir ihn nur um Hilfe gebeten, um eine russische Sim Karte zu kaufen. Alles andere wäre immens teuer geworden. Er half uns. Allerdings versuchte er uns gleichzeitig mit seinem Sohn zu verkuppeln, rief ihn an, lies ihn kommen und wollte uns dann nicht wirklich gehen lassen. Wir verabschiedeten uns, indem wir versuchten zu erklären, dass wir noch nach St. Petersburg fahren müssten (Fahrtzeit ca. 24 Stunden). Er ließ uns zwar fahren, verfolgte uns aber mehrere Kilometer, bremste uns aus, versuchte uns von der Straße zu drängen, stieg an jeder Ampel aus und kam wieder an unser Auto. Anfänglich mussten wir noch über diese russische Ruppigkeit lächeln, aber nach mehreren Minuten wurde uns immer unwohler und wir versuchten ihm zu entkommen. Da den Russen Verkehrsregeln ziemlich egal sind, war das leider nicht so einfach. Ein Glück ist Anne eine begnadete Autofahrerin und wir schafften es irgendwann links abzubiegen und so kompliziert durch die Gassen zu fahren, dass er uns nicht mehr fand. Erleichterung und Herzklopfen. Für uns stand fest: Wir verlassen heute noch Murmansk!


Es war schon abends, doch die Sonne ging auch hier nicht unter. Deswegen entschieden wir uns dafür, so lange wie möglich Richtung Süden zu fahren. Unser nächstes Ziel war St. Petersburg. Es führte genau eine große Straße von Murmansk nach St. Petersburg und wir haben es trotzdem geschafft, uns zu verfahren. Und zwar direkt in ein russisches Militärgebiet. Sackgasse. Erst standen nur zwei Soldaten vor uns. Doch beim Erklären, dass wir uns nur verfahren hätten, kamen immer mehr und mehr Soldaten aus der Kaserne und schauten uns unwirklich an. Möglicherweise lag es daran, dass wir uns an die russische Kultur anpassen wollten und beide komplett in Camouflage-Kleidung in unserem vollgeklebten Van saßen. Am Ende ging alles gut und die Jungs der Armee mussten sogar etwas schmunzeln.

Der Norden von Russland war genauso atemberaubend schön wie der Norden Norwegens. Wir fuhren die Berge hoch und runter, während sich am Horizont schneebedeckte Hügel reihten. Die Natur war so unberührt, mit der Ausnahme von einem gigantischen Kohlekraftwerk, das sich durch ein ganzes Tal zog. Wenn es einen Ort gäbe, an dem eine Zombieapokalypse ausbrechen könnte, dann ziemlich sicher hier. Auch für jegliche Art von Horrorfilmen bestens geeignet. Irgendwann war es 4 Uhr morgens. Die zehn Red-Bulls konnten uns auch nicht mehr weiterhelfen, unsere Äuglein offen zu halten. So beschlossen wir am Straßenrand hinter einem kleinen Steinhügel zu übernachten. Ja, eventuell riskant und ein bisschen unsicher. Aber irgendwie auch ein bisschen witzig.

Am nächsten Morgen konnten wir gleich die nächste Challenge aus dem Roadbook erledigen. Diese erforderte, eine Ziege an das Lenkrad deines Rallye-Gefährts zu setzen. Als wir durch ein kleines Dorf fuhren, sahen wir beide im Augenwinkel einen kleinen Weg und etwa 20 Ziegen. Mittendrin eine Babuschka, behangen mit Tüchern, die wilde Muster zierten. Vollbremsung und Rückwärtsgang. Die liebe Dame schaute uns äußerst befremdlich an und wir versuchten ihr wieder einmal mit Händen und Füßen zu erklären, dass wir gerne eine Ziege von ihr ausleihen würden. Dabei merkten wir, dass sie die kleine Herde mit großen und


kleinen Ziegen vollkommen im Griff hatte. Sie hörten aufs Wort! Als sie langsam merkte, dass wir nur zwei harmlose Blondinen aus Deutschland waren, die irgendwas Komisches mit diesem Auto und einer ihrer Ziegen vorhatten, musste sie mehr und mehr schmunzeln. So richtig wusste sie nicht, was wir vorhatten, doch sie hob eine kleine Ziege an und setzte sie uns in den Arm. Ab zum Auto, die Babuschka lachte, Foto gemacht, Ziege erlöst und herzlichst bedankt, fuhren wir weiter gen Süden. Immer noch auf derselben holprigen Straße, voller Schlaglöcher und Baustellen, auf der wir aus Murmansk heraus gefahren sind.



Je südlicher wir kamen, desto zivilisierter wurde es auch. Hier trauten wir uns auch mal wieder auf Seitenstraßen, um die Gegend zu erkunden. Kurz vor St. Petersburg fuhren wir in einen wunderschönen rosaroten Sonnenuntergang hinein, der eine imposante Kirche ins Abendlicht hüllte. Wir machten einen kleinen Spaziergang um die Kirche herum und s

ahen uns den Friedhof an. Die Russen schmücken ihre Grabmäler mit vielen bunten, wenn auch unechten, Blumen, wodurch alles sehr lebhaft und munter wirkt. Diese kurzen Momente machten die Rallye immer wieder so kostbar.

SANKT PETERSBURG (Russland)

Für St. Petersburg verabredeten wir uns wieder mit unserer zweiten Familie, die Garage Marienthal Männer. Im Konvoi fuhren wir das erste Mal seit Finnland wieder durch eine dunkle Nacht. St. Petersburg leuchtete uns mit tausenden Lichtern den Weg zu unserer Unterkunft direkt neben der Blutskirche. Jacob hatte uns eine Unterkunft für acht Personen organisiert, die zwar nicht zentraler hätte sein können, aber auch nicht viel kleiner. Man konnte sich zwischen den weinroten Vorhängen und goldenen Bilderrahmen gerade einmal im Kreis drehen. Dennoch waren wir froh, wieder unter vertrauten Menschen zu sein. Und um ganz ehrlich zu sein, genossen wir auch mal wieder diese laue Stadtluft im Sommer.

Es war zwei Uhr nachts und wir freuten uns auf den nächsten Tag - der einzige, in 16 Tagen, an dem wir kein Auto fahren würden. Wie schliefen natürlich wieder viel zu lange. Der Körper holt sich wohl das, was er braucht. Dennoch waren wir ganz versessen darauf, die Stadt von der Romanow-Zarenfamilie zu erkunden. Einer unserer Lieblingstrickfilme ist „Anastasia“. Die Geschichte des kleinen Mädchens, das als Waise aufwächst, und als junge Erwachsene ihre wahren Wurzeln findet, denn sie ist die Zarentochter der Romanows. Nun ja, eigentlich war das alles ganz anders, aber wir wollten den kleinen Prinzessinnentraum nicht aufgeben und stolzierten los. Entlang der großen Sehenswürdigkeiten und durch jeden zweiten Souvenirladen, fanden wir ein weiteres Rallyeteam, die so wie wir gerne eine Bootsfahrt durch die Grachten der Stadt machen wollten. Wir deckten uns mit den regionalen Biersorten ein, schließlich mussten wir heute kein Auto mehr fahren und wollten das in vollen Zügen genießen, und bestiegen ein Boot. Leider war die englischsprachige Tour gerade abgelegt. So saßen wir also ohne Bier, denn das war dort verboten, zwei Stunden auf einem Boot und lauschten einer angeregten russischen Dame aus veralteten Lautsprechern. Unter den wachsamen Augen eines etwa 17-jährigen selbsternannten Super Bosses, schafften wir es dennoch, unsere Biere während der Fahrt zu verköstigen. Sowieso fanden wir es seltsam, dass so etwas auch in Russland verboten sei. Wir dachten es wäre generell verboten nüchtern zu sein. Das wollen wir aber nicht allzu sehr vertiefen. Dennoch hatten wir viel Spaß!


Weiter auf den Wurzeln von unserer gemeinsamen Lieblingsprinzessin Anastasia und den Residenzen der Romanows bewegten wir uns zu einem der prunkvollsten Gebäude in St. Petersburg: dem Eremitage Palast an der Newa. Heute ist er eines der größten und bedeutendsten Kunstmuseen der Welt. Die Fassade strahlt in einem königlichen türkis, die weißen Säulen säumen sich einmal um das mächtige Gebäude und die Ornamente an den Fenstern und Verstrebungen glitzern im Sonnenlicht. Verträumt liefen wir über den großen Platz vor dem Palast und genossen die Wärme und den Anblick. Bis wir einen Verkleidungsstand vor dem Palast erblickten und ehe wir uns versahen, in prachtvolle royale Gewänder gekleidet wurden. Der Prinzessinnentraum wurde wahr. Es dauerte keine Sekunde, da waren wir beide eins mit unseren feudalen Kleidern und schreiteten elegant vor dem Palast auf und ab. Es dauerte nicht lange, bis uns die ersten Rallye-Freunde nach zweimaligem hinblicken und ungläubigen Reaktionen anlachten. Ein wundervoller Moment.

Den Abend verbrachten wir mit anderen Rallyeteams bei traditionell russischem Essen. Wir verköstigten Soljanka, Pelmeni, Blini und zum Abschluss noch verschiedenste Kuchensorten. Abgerundet wurde der Schmaus selbstverständlich nach russischer Manier mit Wodka! Wir verbrachten den Abend noch in einer Karaoke Bar, in der sich etwa fünf weitere Teams trafen. Hier schlossen einige auch Freundschaft mit einem Russen, als dieser in einem Leopardenmantel voller Inbrunst „Du Hast“ von Rammstein ins Mikrofon lärmte.

Am nächsten Tag sollten wir Russland wieder verlassen. Wir verabschiedeten uns mit einer letzten Challenge aus dem Roadbook: Kaufe Kartoffeln am Straßenrand und bereite mit einer russischen Familie ein Essen vor, das ihr im Anschluss gemeinsam verspeist. Nichts leichter als das, wenn doch ein jeder Englisch spricht und man sich so gerne in fremde Küchen einlädt. Tatsächlich fanden wir kurz vor der Grenze Estlands einen einsamen Eimer voller Kartoffeln am Straßenrand. Wir hielten und suchten den Besitzer, um einige zu kaufen. Wieder begrüßte uns eine zuckersüße alte Babuschka, die regelrechte Romane auf Russisch herunterrasselte. Wir merkten aber, dass man sich mit Gestik und Mimik recht gut verständigen konnte. So versuchten wir ihr zu erklären, dass wir gerne mit ihr kochen würden. Ein bisschen verwirrt und durchgehend am Kichern, lud sie uns in ihr Haus, wo ihre Enkelkinder gerade über den Sommer zu Besuch waren. Dank moderner Medien konnten wir uns gegenseitig auch einige Dinge übersetzen, um wenigstens ein bisschen erklären zu können, warum wir so etwas Skurriles hier gerade taten. So fanden wir auch heraus, dass die Kartoffeln direkt vom Feld hinter dem Haus kamen und ihre 22-jährige Enkelin gerade geheiratet hatte. Die russische Familie war sehr gastfreundlich und liebevoll, ein einzigartiges Erlebnis und wir hatten unser Mittagessen im Bauch. Ab nach Estland!

BALTISCHE STAATEN – ESTLAND

Moment. Nicht so schnell. Erstmal standen wir nämlich fünf Stunden vor der Grenze. Wir hatten schon zwei, drei Stunden einkalkuliert, aber nicht fünf! So machten wir uns daran, das Auto ein bisschen aufzuräumen und uns über Russen zu ärgern, die sich immer wieder vordrängelten. Wieder mussten wir nicht nur uns, sondern auch unser Auto exportieren. Ein Glück hatten die Grenzleute aber auch wieder keine Lust unser kleines Armadillo-Chaos zu durchsuchen. Dennoch kamen wir dadurch etwa 6 Stunden zu spät zu dem zweiten großen Treffen aller Baltic Sea Circle Rallye Fahrer in Raudzilla, was die Stimmung anfänglich schmälerte.

Raudzilla liegt in Mitten eines Waldes in der Nähe von Tallinn. Auf dem Gelände türmen sich mehrere große Tiki ähnliche Zelte. Eins für die Party, zwei für Saunen, eins für ein kuscheliges Feuer und ein halbes für den vom Feuer angetriebenen Hot Tub. Die hölzernen Zelte lagen an einem Fluss, der uns nach den Saunagängen ordentlich abkühlen sollte. Geschafft von der Fahrt und der zweiten Grenzerfahrung holten wir uns Drinks und tanzten erst einmal den Frust weg. Danach folgte eine endlose Aneinanderreihung von Saunagängen, Bachsprüngen und Hot Tub Einheiten bis sieben Uhr morgens.

Da unsere Nacht so lang wurde, waren wir auch mit die letzten, die das Gelände wieder verlassen. Mit einem leichten Kater, aber natürlich wieder vollkommen fahrtüchtig, machten wir uns auf den Weg in die kleine Stadt Tallinn. Die Stadtmauern von Tallinn erinnerten an das Mittelalter, so auch die kleinen verwinkelten Gassen, durch die wir über das Kopfsteinpflaster stolperten. Wir waren verzückt und wären gerne noch etwas geblieben. Doch die lange Nacht zollte ihren Tribut und wir mussten uns etwas sputen.

Die Challenge des heutigen Tages war das Finden eines Sees, in dem einst eine Gefängnisinsel lag. Der See befand sich an einem großen Sandsteinberg. Das Gestein in Weiß und Beige formte wunderschöne wellenartige Muster und der Sand war so hell, dass das Wasser türkisblau in der Sonne glitzerte. Die Reste des Gefängnisses ragten als dunkelgraue Mauern aus dem Wasser empor. Im Hintergrund lief entspannte Musik von der Beach Bar. Voller Euphorie sprangen wir in das kühle Nass und erfrischten uns im klaren kalten Wasser. Jetzt waren wir wieder wach und konnten uns auf unsere heutige Etappe nach Riga, der Hauptstadt von Lettland vorbereiten.


BALTISCHE STAATEN - LETTLAND UND LITAUEN

Die Natur veränderte sich nicht mehr allzu viel, und der Übergang der Grenzen war eigentlich nicht zu spüren. Im Sonnenuntergang fuhren wir durch Riga und suchten unsere heutige Unterkunft mit einem befreundeten Rallyeteam, mitten in der Altstadt. Überall in Riga konnte man die Liebe zum Rock‘n‘Roll hören, sehen und spüren. Diner, Retro Bars und Rockabilly Läden säumten sich durch die kleinen Gassen. Obwohl uns die letzte Nacht von Raudzilla noch in den Knochen lag, konnten wir nicht widerstehen das Nachtleben von Riga zu erkunden. Wir begannen bei einer Elvis Presley Memorial Live Band, gönnten uns ein paar Drinks und schwangen das Tanzbein. Der Abend endete in einem Club, in dem der DJ aussah wie Channing Tatum. Wir tanzten zu den rhythmischen Beats und begutachteten den kulturellen Unterschied der Nachtmenschen in den baltischen Staaten.

Auf dem Heimweg entlang großer Obelisken und prächtigen Kirchen genossen wir einen der schönsten Sonnenaufgänge, den wir beide jemals gesehen haben. Der gesamte Himmel hüllte sich in ein pinkes Farbenspiel und die sanfte Wolkendecke brach die Strahlen in weitere tausend Farbtöne. Es war unwirklich und einzigartig. Ab ins Bett - die letzten Kilometer warteten auf uns.

Unsere heutige Etappe führte uns in 16 Stunden durch vier Länder. Wir verließen Lettland und fuhren über die Grenze nach Litauen. Für die Challenge des Tages fuhren wir zu den sagenumwobenen Hills of Crosses, ein katholisch geprägter Wallfahrtsort nördlich von Šiauliai. Es ist ein Berg, der von tausenden unterschiedlichsten Kreuzen bestückt ist. Auch wir sollten die Ehre haben, unser eigenes Nordfriesenmädchen Kreuz zu platzieren, und so auch alle anderen 280 Teams der Rallye, seit neun Jahren. Unter der heißen Mittagssonne suchten wir uns ein kleines Plätzchen, auf dem sich bereits um die 4.523 Kreuze erheben.

Da uns die Natur im Innenland der baltischen Staaten langweilte, beschlossen wir kurzerhand die kurische Nehrung entlang zu fahren und einen Abstecher in die russische Oblast Kaliningrad zu machen. Wir vermissten das Meer und die überwältigende Natur aus Skandinavien und machten damit den größten Umweg, den man hätte machen können. Die Natur auf der kurischen Nehrung hielt, was wir uns erhofften. Die 98 Kilometer lange Halbinsel führte uns durch urwaldartige Wälder und entlang weiter Strände, die uns an unseren Heimatort Sylt erinnerten. Die Grenze war hier relativ harmlos und sogar die berühmten Füchse am Übergang haben sich kurz gezeigt.

KALININGRAD (Russland)

Kaum ein weiteres Mal in Russland, überkam uns ein melancholisches Gefühl der Trauer. Wir spürten und wussten, dass wir schon nahezu am Ende unseres Abenteuers waren und wollten einfach nicht, dass es endete. Es hing wie dicke Wolken über uns und in Armadillo – diese einnehmende Trauer. Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt schon so viele unvergessliche Momente gesammelt, dass es uns schwer viel zu glauben, bald wieder im Alltag zu sein. Uns wurde bewusst, wie sehr uns die Rallye verändert hatte und wie viel sich in unserem Leben durch diese Erlebnisse verändern würde. Das Gefühl erdrückte uns beide so sehr, dass wir einfach das traurigste Lied unserer Playlists anmachten und ein paar Minuten die Tränen liefen lassen.

Unsere kleine Trauerfahrt wurde schnell unterbrochen, als wir mal wieder in ein militärisches Gebiet fuhren und ein weiteres Mal russische Soldaten vor uns standen. Dieser Moment hat uns so erheitert, dass die Kullertränen bald zu Tränen vor Lachen wurden.

Auf der Suche nach einem Schlafplatz für die Nacht, fanden wir einen kleinen Hafen mit Strand und Parkplatz, an dem wir kurz verweilten, um den Sonnenuntergang zu genießen. Bei knurrenden Mägen erblickten wir neben uns einen mexikanischen Food Truck, dessen Besitzer auch Russias Next Topmodel hätte sein können. Immerhin für diesen Anblick und unseren ersten und letzten mexikanischen Hot Dog in Russland hat sich Kaliningrad also irgendwie doch gelohnt. Da wir aber keinen geeigneten Wildcamping Spot fanden, und diese Art der Übernachtung in Russland auch nicht legal war, entschlossen wir uns, weiter nach Polen zu fahren. Es war schon Mitternacht und der Grenzübergang sollte ja bei so einer Tageszeit nur halb so schlimm sein. Dachten wir. Tatsächlich war diese Grenzerfahrung die Schlimmste von allen. Ganze vier Stunden verbrachten wir größtenteils stehend eingereiht mit vielen anderen Autos, allerdings keinem anderen Rallyeteam. Die Kontrolle von Russland nach Polen war die Strengste. Hier verzog die Beamtin keine Miene, als wir Armadillo öffneten. Sie durchsuchte alles. Auch das Dachzelt mussten wir öffnen. Wir waren müde und genervt und der Kummer über das baldige Ende war immer noch zu spüren.

POLEN

In Polen suchten wir uns in völliger Dunkelheit einen Wildcamping Spot an einem See in der Nähe der Grenze. Wir waren völlig kaputt und fertig. Glücklicherweise parkte hier endlich mal wieder ein weiteres Rallyeteam und wir platzierten unser Gefährt gleich daneben. So fühlte es sich wenigstens ein bisschen „wie zu Hause“ an. Am Morgen verflog die melancholische Stimmung, als wir unsere tägliche Dusche in dem See neben unserem Schlafplatz nahmen. Ein paar polnische Familien taten uns gleich, neben uns ein paar Angler. Irgendwie idyllisch. Der letzte Rallyetag vor der Heimfahrt brach also an und wir fuhren an der Ostsee entlang Richtung Deutschland.

Wir nutzten die letzten Kilometer, um die übrigen Challenges aus dem Roadbook zu erledigen. Unter anderem suchten wir ein Pferd, das unser Auto ziehen konnte. Seltsamerweise waren die Wiesen und Felder absolut leer. Als wir die Hoffnung schon fast aufgaben, in Polen ein Pferd zu finden, fuhren wir an einem großen Hof vorbei, auf dem wir zwei Vierbeiner erblickten. Mit Händen und Füßen versuchten wir der Hofdame zu erklären, dass wir mal kurz ihr Pferd bräuchten, bis sie uns auf Deutsch antwortete, dass sie ihren Sohn holen würde. Ok, wir waren wirklich schon fast in Deutschland. Der junge Mann war echt belustigt über unser Vorhaben und staunte auch nicht schlecht, als wir mit Armadillo auf ihren Hof fuhren. Er holte ein kleines Pferd von der Koppel und stellte es vor unser Auto. Leine dran, Foto geschossen, lieb bedankt und noch einen Aufkleber von seiner eigenen Motorcross Werkstatt auf Armadillo platziert, fuhren wir zu unserem letzten Campingspot - ein Campingplatz, auf dem sich andere Rallyeteilnehmer trafen, um den letzten Abend gemeinsam zu verbringen.

Alle waren glücklich und traurig zugleich. Es war erleichternd zu wissen, dass sie unser Gefühl teilten und wir erzählten uns von den schönsten und aufregendsten Erlebnissen während der 16-tägigen Rallye um die Ostsee. Bei Kerzenschein und Abendessen ließen wir den Abend ausklingen.

DEUTSCHLAND

Wir verließen Polen und rollten in unser Heimatland. Wir schwebten in einem Gefühl zwischen Wehmut und Vorfreude, so wollten wir doch einfach nicht wieder hier sein. Wir versuchten uns bei Laune zu halten und ein kleiner Teil in uns freute sich auch auf die Zieleinfahrt und darauf, Freunde und Familie wieder zu sehen.

Nach etwa sechs Stunden über deutsche Autobahnen bei elendigen 30 Grad (wir hatten vergessen, dass es in Deutschland im Sommer auch heiß werden konnte im Gegensatz zu unseren letzten 2 Wochen auf Tour!) fuhren wir in unsere Wahlheimat Hamburg ein. Wir sahen die Elbe, den Michel, wir waren wieder zu Hause. Irgendwie unwirklich schon wieder am Ziel angekommen zu sein. Dadurch, dass wir auf der Rallye so viele neue Eindrücke sammeln durften, vergingen die 16 Tage echt langsam und wir fühlten uns, als wären wir 16 Wochen auf Reisen gewesen. Aber wenn man dann wieder im Heimathafen einrollt, spürt man, dass es doch auch irgendwie viel zu schnell vorbei ging.

Das Adrenalin stieg an, als wir die ersten Leute vom Veranstalter am Parkplatz auf die Teams warten sahen. Wir rollten über die Ziellinie, hatten es geschafft. Als beste Freundinnen, als Frauenteam. Eben das geschafft, was uns viele nicht zugetraut hätten, sogar Familie und engste Freunde hatten ihre Zweifel. Aber wir hatten es geschafft und waren voller Endorphine, voller innerer Zufriedenheit, voller Stolz! 16 Tage zu zweit in einem Auto zu wohnen, nur mit dem nötigsten an Klamotten und Nahrungsmitteln. Bei 0 Grad sowie 30 Grad. Wir fielen uns einfach nur noch gegenseitig in die Arme. Lachten, weinten; das ganze Gefühlschaos auf einmal eben. Freunde empfingen uns mit Bier und Wein und wir erlebten den letzten Abend am Fischmarkt glückselig mit anderen Rallyeteams, die wie Familie für uns geworden waren. Wir jubelten und klatschten bei der Siegerehrung für die Teams, die auf das Treppchen steigen durften. Jedes Team hätte den Sieg verdient, denn am Ende sind wir alle Gewinner gewesen. Der Weg war das Ziel. Den Zusammenhalt und die Begeisterung für das größte Abenteuer überhaupt zu spüren.

Dieser Zusammenhalt ist einfach einzigartig und eben das verbindet alle rallyeverrückten Menschen. So richtig nachvollziehen kann man das erst dann, wenn man selbst eine Rallye bestreitet. Uns hatte das Fieber definitiv in seinen Bann gezogen und dies sollte nicht unsere erste und einzige Rallye bleiben. Um für uns persönlich und als Freundinnen einen gebührenden Abschied von den letzten 16 Tage zusammen auf Rallye durch den Norden Europas zu verabschieden, verfassten wir noch eine Flaschenpost über die Erlebnisse und Gefühle der letzten 16 Tage und warfen sie Arm in Arm in die Elbe.


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